Gingen meinem Verständnis die Augen auf
- manfred.lobstein

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(Bild: Quelle)
„Als ich über dies Geschriebene nachsann, gingen meinem Verständnis die Augen auf, und der Geist des Herrn ruhte auf mir.“ (Lehre und Bündnisse 138:11).
Lehre und Bündnisse 138:11–37 – Die Verkündigung des Evangeliums im Geisterreich
Der Augenblick der geistigen Erleuchtung
Mit diesen Worten beginnt der eigentliche Beginn der Vision. Präsident Joseph F. Smith hatte zuvor über die Briefe des Petrus nachgesonnen, die vom Wirken Christi unter den Geistern sprechen. Nun öffnet sich sein geistiges Verständnis, und er wird Zeuge einer der erhabensten Offenbarungen der Kirchengeschichte: dem Blick in die Welt der Geister. Dieser Moment ist nicht bloß eine Vision über die Jenseitsordnung, sondern eine Offenbarung über das fortgesetzte Wirken der Gnade. Der Geist des Herrn „ruht“ auf dem Propheten, und was folgt, ist das geistige Gegenstück zur Auferstehungslehre – die Erkenntnis, dass die Erlösung durch Christus keine zeitliche oder räumliche Grenze kennt.
Die Verse 11–24 zeigen die Freude und Erwartung der rechtschaffenen Geister im Paradies. Smith sieht sie versammelt, „klein und groß“, im Zustand des Friedens, voller Hoffnung auf die Auferstehung. Sie wissen, dass der Tag ihrer Befreiung nahe ist. Diese Szene steht im starken Kontrast zur Finsternis jener, die sich im Zustand der Ablehnung und Unbußfertigkeit befinden (Verse 20–22).
Die Vision macht deutlich: Auch nach dem Tod bleibt der Mensch ein handlungsfähiges, lernendes Wesen. Das Evangelium ist kein irdischer Besitz, sondern ein ewiges Prinzip, das alle Kinder Gottes umfasst. In der Geisterwelt gibt es Ordnung, Arbeit, Lehre und Hoffnung.
Der Besuch Christi in der Geisterwelt (Verse 18–24)
In diesen Versen sieht Joseph F. Smith, dass Christus selbst nach seinem Tod in die Geisterwelt kommt. Er begegnet den Gerechten, predigt das Evangelium und verkündet ihnen die Befreiung von den Fesseln des Todes. Diese Szene erinnert unmittelbar an Jesaja 61:1–2, wo vom Gesalbten gesprochen wird, der kommt, um „den Gefangenen die Freiheit“ und „den Gebundenen die Öffnung des Kerkers“ zu bringen. Lukas 4:18 bezeugt, dass Jesus selbst diese Worte im Tempel von Nazareth auf sich angewandt hat. Die Vision Joseph F. Smiths zeigt nun ihre vollkommene Erfüllung – Christus befreit nicht nur die Lebenden, sondern auch die Toten.
Die Geister der Gerechten sind in Erwartung. Sie wissen, dass der Sohn Gottes den Tod überwunden hat. Ihr „Schlummer“ wird bald enden. Die Beschreibung, dass sie voller Freude auf die Wiedervereinigung von Geist und Körper warten, verknüpft diese Offenbarung mit der Lehre aus Alma 40:11–14, die beschreibt, dass die Geister der Gerechten in einem Zustand des Friedens ruhen, während die Gottlosen sich in Dunkelheit befinden.
Hier wird eine tiefe Wahrheit sichtbar: Der Tod trennt nicht die Gemeinschaft der Gläubigen. Während Christus am Kreuz litt, bereitete sich sein Geist darauf vor, die frohe Botschaft jenen zu bringen, die seit Jahrhunderten in Erwartung lebten. Der Heilsplan umfasst Himmel, Erde und Unterwelt.
Die Ordnung der Geisterwelt (Verse 25–30)
Präsident Smith wundert sich, wie Christus in der kurzen Zeit zwischen Tod und Auferstehung all den Millionen Geistern predigen konnte, die in den Tagen Noahs und seither gestorben waren. Seine Frage führt zu einer weiteren Offenbarung: Der Erretter wirkte nicht persönlich unter den Schlechten, sondern organisierte die Verkündigung durch seine Getreuen.
Aus den Reihen der Rechtschaffenen wählt er Boten aus – Männer und Frauen, Propheten und Heilige vergangener Zeiten – und bevollmächtigt sie, das Licht des Evangeliums unter die Gefangenen zu tragen. Damit wird die Geisterwelt als fortgesetzte Missionssphäre beschrieben, ein Reich geordneter Verkündigung und göttlicher Zusammenarbeit.
Diese Szene erinnert an das Muster, das der Herr auch in der sterblichen Welt verwendet: Er beruft Diener, sendet sie aus, statt alles selbst zu tun. Der Erretter bleibt das Haupt, doch er lässt die Seinen an seiner Arbeit teilhaben. Das gleiche Prinzip gilt in der Ewigkeit: Erlösung ist ein Werk der Gemeinschaft.
L&B 76:73–75 (vgl. Parallele) beschreibt jene, „die in der Geisterwelt das Evangelium empfangen“, als Menschen, die „von Christus erlöst“ werden. Sie hatten die Wahrheit im Leben nicht angenommen, doch durch Umkehr und stellvertretende heilige Handlungen erhalten auch sie den Zugang zum Heil. Die Offenbarung Joseph F. Smiths bestätigt und vertieft diese Lehre.
Die Berufung der Boten (Verse 31–37)
Die Vision beschreibt nun, wie die von Christus bevollmächtigten Geister das Evangelium „allen Menschengeistern“ bringen. Sie verkünden den „angenehmen Tag des Herrn“, rufen zur Umkehr und lehren die Grundsätze des Glaubens, der Taufe und des Empfangs des Heiligen Geistes. Selbst jenen, die in Sünde oder Unwissenheit gestorben sind, wird Gelegenheit gegeben, das Evangelium anzunehmen.
Diese Lehre widerspricht dem verbreiteten Bild eines statischen Jenseits. Die Geisterwelt ist kein Ort passiver Erwartung, sondern eine lebendige Missionsschule. Glaube, Umkehr und Gehorsam bleiben notwendig, doch nun wirkt das Evangelium über die Grenze des Todes hinaus.
Die Boten handeln „mit Macht und Vollmacht“. Sie tragen das Licht zu denen, die in Finsternis sind – eine Parallele zu Jesaja 42:6–7, wo der Messias berufen wird, „Licht der Heiden“ zu sein und „die Gefangenen aus dem Kerker“ zu führen. Auch hier erfüllt sich die Prophetie: Durch seine Diener öffnet Christus geistige Gefängnisse und schenkt Freiheit.
So offenbart Joseph F. Smith eine göttliche Wahrheit, die zugleich tröstend und verpflichtend ist: Niemand ist vergessen. Das Werk der Erlösung umfasst die ganze Menschheitsfamilie. Die Ketten der Hölle sind keine endgültigen Grenzen; sie können durch Glauben, Umkehr und stellvertretendes Priestertumshandeln gesprengt werden.
Biblische und buchmormonische Parallelen
Die Vision knüpft an zahlreiche Schriften an. Neben den Petrusbriefen, die den unmittelbaren Anlass bildeten, findet sich im Buch Mormon mehrfach der Gedanke, dass die Botschaft Christi zu den Toten gelangt. Alma 40 erklärt die Zustände nach dem Tod; Mosia 27:36 beschreibt, wie Bekehrte „die Macht und das Licht Christi“ verkündigen, um andere zu befreien – ein Muster, das in der Geisterwelt seine vollkommene Entfaltung findet.
Auch in der Köstlichen Perle, besonders in Mose 7, erscheint eine ähnliche Perspektive: Enoch sieht, wie der Himmel über das Leiden der Menschen weint und wie die Erlösung alle Zeiten umfasst. Joseph F. Smith fügt diesem Panorama das fehlende Glied hinzu – die fortgesetzte Mission der Gerechten unter den Toten.
Geistliche Anwendung für heute
Diese Vision ist nicht bloß ein Bericht über das Jenseits, sondern eine Einladung, am gleichen Werk teilzuhaben. Das Tempel- und Familienforschungswerk ist die irdische Entsprechung dessen, was Joseph F. Smith in der Geisterwelt sah. Wer heute Namen seiner Vorfahren sucht, stellvertretend tauft und siegelt, wird Teil desselben Erlösungswerks, das Christus dort organisierte.
Sie lehrt uns auch Geduld und Hoffnung: Kein Mensch ist verloren, solange der Erlöser wirkt. In einer Welt voller Ungerechtigkeit und Zweifel ruft uns diese Offenbarung dazu auf, am Sieg Christi über Tod und Vergessen mitzuwirken – durch Mitgefühl, Mission und stellvertretenden Dienst.
Wenn Christus in der Geisterwelt Boten aussandte, um jede Seele zu erreichen – wie kann ich heute, in meiner Umgebung, zu einem Boten seines Lichts werden?



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