Ich will, dass ihr die Welt überwindet
- manfred.lobstein
- vor 3 Tagen
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(Bild Quelle)
“Denn wahrlich, ich sage euch: Ich will, dass ihr die Welt überwindet; darum will ich mit euch Mitleid haben.” (Lehre und Bündnisse 64:2).
Historischer Hintergrund zu Lehre und Bündnisse 64
Der 11. September 1831 war ein bedeutsamer Moment in der frühen Kirchengeschichte. Joseph Smith befand sich in Kirtland, Ohio, inmitten einer intensiven Übergangszeit. Wenige Tage später sollte er nach Hiram, Ohio, umziehen, um seine Arbeit an der inspirierten Bibelübersetzung (die sogenannte „Joseph Smith Translation“) fortzusetzen. Die letzten Monate waren für ihn und die Kirche herausfordernd gewesen: Im Sommer war er mit mehreren Ältesten nach Missouri gereist, um dort das Land Zion zu bestimmen und ein Grundstück für einen zukünftigen Tempel zu weihen. Doch nicht alle Teilnehmer dieser Reise kamen im Frieden zurück.
Die Reise nach Missouri, obwohl geistlich bedeutend, hatte Spannungen und Missstimmung unter den Brüdern offenbart. Insbesondere Ezra Booth, ein ehemaliger Methodist, hatte begonnen, seine Enttäuschungen öffentlich zu äußern. Er kritisierte unter anderem, dass Joseph Smith und andere mit der Kutsche reisten, während er und Isaac Morley zu Fuß gehen mussten. Auch Differenzen zwischen Joseph und Bischof Edward Partridge über den genauen Standort von Zion hatten für Unruhe gesorgt. Zwar versöhnten sich Joseph und Partridge später, doch Ezra Booth blieb unversöhnlich. Er begann, kritische Artikel über die Kirche zu schreiben, was erheblich zur lokalen Feindseligkeit gegenüber den Heiligen beitrug.
In dieser angespannten Atmosphäre wurde L&B 64 offenbart. Joseph Smith hatte gerade mehrere Konferenzen abgehalten, in denen Apostaten und ungehorsame Mitglieder zur Rechenschaft gezogen wurden. Einige wurden „zum Schweigen gebracht“, ein disziplinarischer Akt, der auf den Anweisungen aus L&B 42 beruhte. Auch innerhalb der Kirche in Kirtland gab es Spannungen: Einige Mitglieder hatten sich von den Grundsätzen entfernt, andere waren dabei, ihre Besitztümer zu verkaufen und sich auf den Weg nach Zion zu machen – ein Schritt, der persönliches Opfer, Glauben und Organisation erforderte.
Die Offenbarung in Abschnitt 64 war eine göttliche Antwort auf all diese Herausforderungen – sie verband klare Anweisungen zur Disziplin und zur Vorbereitung auf Zion mit tiefgehenden geistlichen Grundsätzen über Vergebung, Gehorsam, Weihe und die Zukunft der Kirche.
Schlüsselthemen in L&B 64
1. Vergebung als Voraussetzung für geistliches Wachstum (Verse 1–11) Der Herr beginnt die Offenbarung mit einer Mahnung an seine Diener: Sie sollen einander vergeben. Wer nicht vergibt, lädt eine größere Schuld auf sich. Diese Aussage ist sowohl eine Warnung als auch eine Einladung. Inmitten von Kritik, Verletzungen und persönlichem Stolz ruft der Herr zur Versöhnung auf. Joseph wird gelobt, dass ihm vergeben worden sei, doch er wird gewarnt, in Zukunft keine schweren Fehler mehr zu begehen. Dies zeigt: Auch Propheten stehen unter göttlicher Beobachtung und benötigen Gnade.
2. Disziplin innerhalb der Kirche (Verse 12–22) Der Herr zeigt deutlich, dass ungehorsame Mitglieder nicht ungestraft bleiben. Wer nicht umkehrt, soll der Kirche vorgeführt werden. Hier zeigt sich ein wichtiges Prinzip der Kirchengeschichte: Liebevolle, aber konsequente Zucht ist notwendig, um die Reinheit und geistige Kraft der Gemeinschaft zu bewahren. Gleichzeitig wird betont, dass der Herr Barmherzigkeit mit denen hat, die sich ehrlich bemühen.
3. Der Zehnte als Schutz beim Kommen Christi (Verse 23–25) In einer bemerkenswerten Aussage verspricht der Herr: „Wer gezehntet ist, wird beim Kommen des Herrn nicht verbrannt werden.“ Dies ist sowohl symbolisch als auch wörtlich zu verstehen. Der Zehnte – Ausdruck von Weihe, Glauben und materieller Opferbereitschaft – wird als ein Zeichen des Bundes mit Gott hervorgehoben.
4. Warnung vor Schulden (Verse 26–32) Die Heiligen werden ermahnt, sich nicht unnötig zu verschulden. In einer Zeit, in der viele wirtschaftliche Opfer bringen mussten, um nach Zion zu ziehen oder Grundstücke zu erwerben, zeigt der Herr die Gefahren finanzieller Abhängigkeit auf. Geistliche Freiheit hängt auch mit wirtschaftlicher Umsicht zusammen.
5. Konsequenzen des Widersetzens (Verse 33–36) Der Herr kündigt an, dass widerspenstige Menschen aus Zion ausgeschlossen werden. Zion ist nicht nur ein geografischer Ort, sondern ein Zustand des Herzens. Wer sich dem Geist der Weihe und Einheit widersetzt, kann dort keinen Platz finden. Auch dies war eine Botschaft an Brüder wie Ezra Booth, die mit Kritik und Ungehorsam das Werk behinderten.
6. Die Kirche als Maßstab für die Welt (Verse 37–40) Der Herr erklärt, dass die Kirche die Nationen richten wird. Das bedeutet nicht Hochmut, sondern Verantwortung. Die Heiligen sollen durch ihr Leben und Handeln ein Maßstab für Rechtschaffenheit sein.
7. Die Zukunft Zions (Verse 41–43) Trotz aller Schwierigkeiten schließt der Herr mit einer machtvollen Verheißung: Zion wird blühen. Wer bereit ist, heute gehorsam zu leben, wird morgen Zion sehen. Das ist nicht nur eine Verheißung für die damaligen Heiligen, sondern auch für uns heute.
Was wir heute aus L&B 64 lernen können – eine geistliche Quintessenz
1. Vergebung ist nicht optional, sondern heilsentscheidend. In einer Zeit der Polarisierung und des digitalen Schlagabtauschs ist der Aufruf zur Vergebung aktueller denn je. Wer Kränkungen, Enttäuschungen und Kritik nicht loslässt, riskiert geistigen Stillstand. Der Herr betont: Wer nicht vergibt, dem wird nicht vergeben. Diese Aussage fordert jeden Jünger Christi zu Selbstreflexion und Demut auf.
2. Der Weg nach Zion führt über persönliche Weihe. Zion ist mehr als ein Ort – es ist ein Zustand des Herzens. Wer heute treu den Zehnten zahlt, nach geistiger Reinheit strebt und seine Mittel dem Herrn weiht, bereitet den Weg für das zukünftige Zion. Diese Verheißung bleibt gültig: Wer heute bereit ist, wird morgen Zion erleben – vielleicht schon auf dieser Seite des Schleiers, sicher aber in der kommenden Welt.
3. Disziplin ist ein Akt der Liebe. Die Kirche ist kein Ort des blinden Durchwinkens, sondern eine Gemeinschaft von Heiligen, die einander zur Rechenschaft ziehen – mit Liebe, aber auch mit Klarheit. Ob wir in Führungspositionen sind oder einfache Mitglieder: Wir alle sind eingeladen, einander zu ermahnen, zu stärken und zur Umkehr zu helfen.
4. Geistige Vorbereitung ist untrennbar von materieller Weisheit. Der Herr warnt vor unnötiger Verschuldung – ein Prinzip, das in der heutigen Konsumgesellschaft dringlicher denn je erscheint. Finanzielle Freiheit erleichtert geistige Weihe, missionarisches Wirken und Friedfertigkeit.
5. Der Herr führt seine Kirche trotz menschlicher Schwächen. Ezra Booth, Edward Partridge, Isaac Morley – jeder von ihnen war ein Mensch mit Stärken und Schwächen. Doch durch die Führung Gottes konnten Fehler korrigiert, Herzen geheilt und das Werk weitergeführt werden. Auch heute ist die Kirche nicht perfekt – aber sie ist göttlich geführt.
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