Bekleidet euch mit dem Band der Nächstenliebe
- manfred.lobstein
- 26. Aug.
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(Bild: Quelle)
“Und vor allem: Bekleidet euch mit dem Band der Nächstenliebe wie mit einem Mantel, denn es ist dies das Band der Vollkommenheit und des Friedens.” (Lehre und Bündnisse 88:125).
Lehre und Bündnisse 88:108–141 – Die große Offenbarung, die Ordnung der Letzten Dinge und die Schule der Propheten
Diese Verse setzen die gewaltige eschatologische Vision fort, die Joseph Smith als „Olivenblatt“ offenbarte. Sie eröffnen mit einer kosmischen Enthüllung des Gerichts und münden in konkrete Anweisungen für die Vorbereitung der Heiligen durch geistige Bildung und heilige Ordnung.
Verse 108–116: Das große Buch des Gerichts
Diese Verse beschreiben die Posaunen von sieben Engeln, die nacheinander die geheimen Taten der Menschen und die großen Werke Gottes aus den sieben Jahrtausenden offenbaren. Der Höhepunkt ist der Schwur des siebenten Engels, dass „es Zeit nicht länger geben wird“ (V. 110), ein deutlicher Verweis auf Offenbarung 10:6. Die symbolische Darstellung, dass Michael (V. 112) – identifiziert mit Adam (vgl. LuB 27:11) – gegen Satan kämpft, erinnert an die apokalyptischen Visionen der Johannesoffenbarung (vgl. Offb 12:7–9) und zeigt die endgültige Reinigung und den Triumph Gottes über das Böse. Vers 114 verkündet das Ende jeder dämonischen Macht über die Heiligen. Das Motiv der endgültigen Verherrlichung der Geheiligten (V. 116) steht im Einklang mit der Verheißung ewigen Lebens und der endgültigen Überwindung des Todes (vgl. 1 Korinther 15:26).
Heute bietet dieser Abschnitt eine kraftvolle Perspektive auf Gerechtigkeit und Wahrheit. Jede Handlung zählt. Nichts bleibt verborgen (vgl. Lukas 12:2–3). Unsere Entscheidungen haben ewige Bedeutung. Die Frage für uns: Bereiten wir uns so vor, dass unser Lebensbuch mit Licht erfüllt ist?
Verse 117–126: Bildung und Heiligung der Heiligen
Ab Vers 117 wendet sich der Text von den letzten Dingen zur Gegenwart. Die Gläubigen sollen sich auf die kommende Herrlichkeit vorbereiten, indem sie sich organisieren und belehren. Der Befehl, eine „feierliche Versammlung“ einzuberufen, erinnert an die biblischen heiligen Zusammenkünfte (vgl. Levitikus 23:36) und spiegelt den Ernst der Endzeitvorbereitung wider.
Besonders bemerkenswert ist der Aufruf zur Bildung: „Sucht Worte der Weisheit aus den besten Büchern“ (V. 118) – ein bahnbrechendes Prinzip bei den Heiligen, das geistiges und säkulares Lernen vereint. Hier wird das Studium – nicht nur durch Glauben, sondern auch durch Vernunft – zum Gebot. Dies erinnert an das biblische Ideal: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Verstand“ (Markus 12:30).
Vers 119 beschreibt ein ideales Haus Gottes – ein Raum des Gebets, des Lernens, der Ordnung und der Heiligkeit. Es verweist auf das geplante „Haus des Herrn“ in Kirtland, das nicht nur Tempel, sondern auch Schule und Versammlungsort sein sollte. Der Aufbau eines solchen Hauses, innerlich wie äußerlich, bleibt auch heute eine Herausforderung: Haben unsere Häuser diese geistige Qualität? Erheben wir unsere Begrüßungen, unsere Arbeit, unseren Alltag „im Namen des Herrn“?
Verse 121–126: Praktische Heiligung des täglichen Lebens
Diese Verse geben eindrückliche Richtlinien für ein geheiligtes Leben. „Lasst ab von all euren leichten Reden, von allem Gelächter“ (V. 121) mag übertrieben streng erscheinen, doch im damaligen Kontext zielte dies auf eine würdige Vorbereitung für heilige Räume und heiliges Wissen. Die Schule der Propheten war kein Ort für Spott oder Ablenkung, sondern für das heilige Erlernen von Gottes Wort. Die Mahnung zur Selbstdisziplin (V. 124) – früh zu Bett, früh aufzustehen, nicht müßig oder unrein zu sein – erinnert an Sprüche 6:9–11, wo der Faule gewarnt wird.
Der wichtigste Vers dieser Gruppe ist wohl Vers 125: „Bekleidet euch mit dem Band der Nächstenliebe wie mit einem Mantel“. Diese Metapher findet ihr biblisches Pendant in Kolosser 3:14: „Über alles aber zieht die Liebe an, die das Band der Vollkommenheit ist.“ Diese Liebe ist nicht nur Gefühl, sondern verbindliches Tun, das die Gemeinschaft im Glauben zusammenhält – ein Gebot, das im Alltag oft unsere größte Herausforderung darstellt.
Verse 127–141: Die Ordnung der Schule der Propheten
Die letzten Verse geben konkrete Anweisungen für die Organisation der Schule der Propheten – eine geistige Ausbildungsstätte für Führer der Kirche. In Vers 127 wird die „Präsidentschaft der Schule“ eingeführt, bestehend aus Hohen Priestern bis hin zu Diakonen. Die Ordnung, mit der sie das Haus betreten, beten, lehren und einander begrüßen sollen, zeugt von tiefem Respekt vor der Heiligkeit des Ortes. Der Präsident soll „als Erster im Haus“ sein (V. 130) – ein symbolischer Akt, der Führung durch Vorbild betont.
Die Begrüßung in Vers 133 ist besonders bemerkenswert: „Ich begrüße euch im Namen des Herrn Jesus Christus … in den Banden der Liebe euer Freund und Bruder zu sein“. Diese brüderliche, feierliche Formel verweist auf das Wesen der Kirche als Bundesgemeinschaft. Sie verbindet die Heiligen mit Christus und untereinander – eine Vision von Gemeinschaft, die viele heutige Gemeinden neu entdecken könnten.
Ebenso bemerkenswert ist die Wiedereinsetzung der Fußwaschung (V. 139–141) – ein deutliches Zeichen der Demut und Heiligung. Sie erinnert an Johannes 13, wo Jesus selbst den Jüngern die Füße wusch. Diese Handlung steht exemplarisch für Dienstbereitschaft und Reinheit – sowohl symbolisch als auch buchstäblich. Die Lehre ist klar: Wer Christus dienen will, muss dienen wie Christus.
Heutige Anwendung und Herausforderung
Für unsere Zeit stellt besonders Vers 125 eine Herausforderung dar: die Nächstenliebe nicht nur zu fühlen, sondern als verbindliches Band zu tragen. Auch der Aufruf in Vers 119, unsere Häuser als heilige Räume zu gestalten – als „Haus des Gebets … des Lernens … der Ordnung“ – trifft mitten in eine Kultur der Ablenkung. Bildung, geistige Ordnung, brüderliche Liebe und würdiges Verhalten – diese Themen durchziehen die ganze Passage. Sie fordern uns heraus, das Evangelium nicht nur zu studieren, sondern es in die Struktur unseres Alltags einzubetten – persönlich, familiär, gemeinschaftlich.
Parallelen zu anderen Schriften
Die prophetische Vision in den Versen 108–116 knüpft direkt an die Johannesoffenbarung (Kapitel 8–10) an, besonders in der Struktur der sieben Engel mit Posaunen. Der Kampf Michaels mit Satan erinnert an Offenbarung 12 und an Daniel 12. Der Aufruf zu Bildung und Weisheit (V. 118) verweist auf Sprüche 4:7: „Erwirb Weisheit, und mit allem, was du hast, erwirb Verstand.“
Die Ausgestaltung des Hauses Gottes (V. 119) findet Parallelen im mosaischen Tempel (vgl. 2 Mose 25–30) und in der neutestamentlichen Gemeindeordnung (z. B. 1 Korinther 14:40: „Alles geschehe in Anstand und Ordnung“). Die Begrüßungsformel (V. 133) erinnert an Paulus’ Appelle zur brüderlichen Liebe (vgl. Römer 12:10). Schließlich steht die Fußwaschung in direkter Verbindung mit Johannes 13, wo Jesus sagte: „Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit auch ihr so handelt“ (Joh 13:15).
Diese Verse laden ein, nicht nur auf das Ende vorbereitet zu sein, sondern jetzt schon in Ordnung, Erkenntnis und Liebe zu leben. Sie zeigen, dass geistige Bildung, heilige Gemeinschaft und persönliche Heiligung nicht voneinander zu trennen sind. Die Vorbereitung auf Christus beginnt in unseren Häusern, unseren Beziehungen und unserem inneren Bund mit Gott.
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