Die Armen sollen erhöht werden, indem die Reichen erniedrigt werden
- manfred.lobstein
- vor 4 Stunden
- 5 Min. Lesezeit

(Bild: Quelle)
“Aber es muss notwendigerweise auf meine eigene Weise geschehen; und siehe, dies ist die Weise, die ich, der Herr, beschlossen habe, um für meine Heiligen zu sorgen: Die Armen sollen erhöht werden, indem die Reichen erniedrigt werden.” (Lehre und Bündnisse 104:16).
Lehre und Bündnisse 104 – Historischer Hintergrund und bleibende Bedeutung
Historischer Kontext der Offenbarung
Die Offenbarung, die heute als L&B 104 überliefert ist, wurde am 23. April 1834 in Kirtland, Ohio, empfangen. Sie stand in unmittelbarem Zusammenhang mit den Schwierigkeiten der „Vereinigten Ordnung“ (United Firm), einem wirtschaftlich-organisatorischen Zusammenschluss, den Joseph Smith ab 1832 unter Offenbarung gegründet hatte. Die Vereinigte Ordnung sollte es den Führern der Kirche ermöglichen, gemeinsam wirtschaftliche Verantwortung zu übernehmen und Ressourcen so einzusetzen, dass das Werk des Herrn voranschreiten konnte – insbesondere die Veröffentlichung heiliger Schriften und die Unterstützung der Armen.
Doch schon bald zeigte sich, dass die Ordnung unter großem Druck stand. Mehrere Mitglieder waren finanziell überfordert, andere hielten ihre Verpflichtungen nicht ein. Hinzu kamen äußere Krisen: Die Verfolgungen in Missouri hatten die Kirche in wirtschaftliche Bedrängnis gebracht, und die Schuldenlast in Kirtland wuchs. Im Frühjahr 1834 war die Lage so kritisch, dass Joseph Smith den Herrn um direkte Anweisung bat.
In der Offenbarung vom 23. April gab der Herr Weisung, die Vereinigte Ordnung neu zu ordnen und praktisch aufzulösen. Jedes Mitglied erhielt bestimmte Verantwortlichkeiten und Anteile, Schulden sollten geregelt, Aufgaben verteilt werden. Besonders wichtig war die Anweisung, dass das Eigentum weiterhin dem Herrn gehörte – die Treuhänder waren lediglich Verwalter. Das bedeutet: Der Herr nahm die Ordnung nicht zurück, sondern passte sie an die Möglichkeiten und den Glauben der Heiligen an.
Parallele zum Gleichnis vom armen Mann und Lazarus
Ein bemerkenswerter geistiger Bezug ergibt sich zum Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus (Lukas 16:19–31). In diesem Gleichnis lebt ein Reicher in Wohlstand, während der arme Lazarus vor seiner Tür hungert. Nach dem Tod kehren sich die Verhältnisse um: Lazarus wird in Abrahams Schoß getröstet, der Reiche leidet in Qualen.
In L&B 104 spricht der Herr ähnlich über Eigentum und Reichtum: „Die Armen sollen erhöht werden, indem die Reichen erniedrigt werden.“ (Vers 16). Der Herr betont, dass die Erde „voll ist, und es ist genug da“ (Vers 17), und dass Armut im Grunde nicht nötig wäre, wenn Menschen gerecht und mit Liebe teilen würden. Genau das kritisierte Jesus am reichen Mann: Er hatte zwar die Möglichkeit, Lazarus zu helfen, doch er verschloss sein Herz.
Die Offenbarung und das Gleichnis weisen beide auf eine zentrale Wahrheit hin: Gott misst unseren Umgang mit Besitz nicht an äußerem Erfolg, sondern daran, wie wir ihn zum Wohl der Bedürftigen einsetzen. Der Reiche im Gleichnis verpasste diese Chance und verlor den ewigen Lohn. Ebenso war es für die Heiligen eine ernste Warnung, ihre Mittel nicht nur für eigene Interessen, sondern für den Aufbau Zions und die Armen einzusetzen.
Bedeutung für die Heiligen von 1834
Die Offenbarung war hochpraktisch und zugleich geistlich. Praktisch mussten die Führer Schulden begleichen, wirtschaftliche Verpflichtungen ordnen und neue Grundlagen schaffen. Geistlich aber erinnerte sie die Heiligen daran, dass alles Eigentum dem Herrn gehört und wir nur Verwalter sind (Verse 13–14).
In einer Zeit großer Armut und Bedrohung war diese Lehre ein Halt: Auch wenn äußerlich Schulden und Not überwogen, versprach der Herr, dass Gehorsam und Treue zu seinem Gesetz geistliche und schließlich auch zeitliche Segnungen bringen würden. Die Offenbarung bereitete zudem den Boden für das kommende „Zionslager“.
Bedeutung für uns heute
Man könnte fragen: Wenn diese Offenbarung so eng mit der Finanzlage von 1834 verbunden war, warum ist sie heute noch wichtig?
Grundsatz ewiger Verwaltung: Wir besitzen nichts wirklich „eigen“. Alles gehört dem Herrn, und wir sind nur Treuhänder (Verse 54–55). Dieses Verständnis schützt uns davor, Besitz zu vergötzen, und macht uns frei, ihn zum Guten einzusetzen.
Gerechtigkeit im Umgang mit Besitz: Der Herr lehrt klar, dass Armut nicht Gottes Wille ist (Vers 17). In einer Welt, die von extremer Ungleichheit geprägt ist, bleibt diese Lehre hochaktuell.
Geistliche Verantwortung in materiellen Dingen: Finanzielle Entscheidungen sind nicht weltlich-neutral, sondern haben geistliche Bedeutung. Wer verantwortungsvoll handelt, handelt im Sinne des Evangeliums.
Vorbereitung auf das Gesetz der Weihe: Auch wenn wir heute nicht in einer Vereinigten Ordnung leben, so bereitet uns der Herr durch das Gesetz des Zehnten und freiwillige Opfer darauf vor, eines Tages das höhere Gesetz der vollständigen Weihe wieder leben zu können.
Das Gesetz des Zehnten als Schlüssel gegen Armut
Ein zentraler Gedanke ist die Frage, ob das Gesetz des Zehnten – wenn es weltweit befolgt würde – Armut beseitigen könnte.
Der Herr verheißt in Maleachi 3:10: „Bringt den ganzen Zehnten ins Vorratshaus, damit in meinem Haus Nahrung sei; und prüft mich doch darin …, ob ich euch nicht die Fenster des Himmels öffne.“ Wenn alle Menschen regelmäßig zehn Prozent ihres Einkommens in einen gerechten Ausgleichsfond gäben, gäbe es rechnerisch tatsächlich mehr als genug, um Armut zu überwinden.
Das Gesetz des Zehnten ist dabei nicht nur ein soziales Umverteilungssystem, sondern vor allem ein geistiges Gesetz: Es lehrt Dankbarkeit, Selbstlosigkeit und Vertrauen in Gott. Menschen, die treu den Zehnten zahlen, entwickeln einen Blick für die Bedürfnisse anderer und sind eher bereit, zusätzlich zu helfen. So wird ein geistlicher Kreislauf in Gang gesetzt, der tatsächlich die Macht hat, gesellschaftliche Armut zu überwinden.
Übertragung auf die Gegenwart
Unsere heutige Gesellschaft kennt ähnliche Herausforderungen wie die Heiligen von 1834: Ungleichheit, Schuldenlast, Konsumdruck. L&B 104 zeigt, dass der Herr schon damals eine Balance zwischen praktischer Finanzverwaltung und geistlichen Prinzipien forderte.
Für uns bedeutet das:
Wir sollen verantwortlich mit Schulden umgehen, denn Freiheit entsteht nicht durch Verschuldung, sondern durch kluge Verwaltung.
Wir sollen teilen und spenden, wo wir können, weil Besitz immer eine Treuhandschaft ist.
Wir sollen auf Gott vertrauen, dass Gehorsam zu finanziellen Geboten – Zehnten, Fastopfer, Spenden – nicht Armut bringt, sondern Wohlstand im göttlichen Sinn.
Schlussgedanken
L&B 104 ist mehr als ein Dokument zur Finanzordnung von 1834. Es ist eine zeitlose Offenbarung über Gottes Wirtschaftsordnung. Sie verbindet das Gleichnis von Lazarus mit der praktischen Finanzverwaltung der Heiligen und zeigt, dass geistliches Wachstum und finanzielles Handeln untrennbar verbunden sind.
Wenn alle Menschen den Grundsatz lebten, dass Eigentum dem Herrn gehört und dass wir mit Zehnten und Opfergaben die Bedürftigen unterstützen, dann würde sich tatsächlich die Vision erfüllen, die der Herr in L&B 104:16–18 beschreibt: „… damit die Armen erhöht werden, dass die Reichen erniedrigt werden. Denn die Erde ist voll, und es ist genug da, ja, und es ist übrig, um allen zu genügen.“
Damit zeigt uns diese Offenbarung den Weg zu einer Welt, in der Armut nicht nötig ist und in der Besitz nicht zum Stolperstein, sondern zum Werkzeug des Reiches Gottes wird.
Kommentare