Diejenigen, die ihr Erbteil nicht durch Weihung empfangen
- manfred.lobstein
- 5. Aug.
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Melchizedeks Vorratshaus
(Bild: Quelle)
“Es ist gegen den Willen und das Gebot Gottes, dass diejenigen, die ihr Erbteil nicht durch Weihung empfangen, in Übereinstimmung mit seinem Gesetz, das er gegeben hat, um sein Volk zu zehnten und es auf den Tag der Vergeltung und des Brennens vorzubereiten, beim Volk Gottes namentlich verzeichnet sind.” (Lehre und Bündnisse 85:3).
Lehren aus Lehre und Bündnisse 85:1-6
Einleitung
Der Brief, den Joseph Smith am 27. November 1832 an William W. Phelps diktierte, beginnt mit den sechs Versen, die heute den Auftakt von L&B 85 bilden. Sie sind zugleich ein Spiegel der entstehenden Kirche: Verwaltung, Theologie und persönliches Jüngerschafts‑Ethos verschmelzen zu einem einzigen Auftrag.
Historischer Kern. Bereits bei der Kirchenorganisation am 6. April 1830 hatte der Herr geboten: „ein Bericht soll unter euch geführt werden,“ (L & B 21:1). John Whitmer erhielt später die ausdrückliche Berufung als Historiograf (L & B 47:1). Vers 1 erweitert diesen Auftrag: Das Kirchenbuch soll nicht nur Sitzungsprotokolle enthalten, sondern gleichsam das pulsierende Herz Zions abbilden – Glauben, Alltag, ja selbst Besitz‑Transfers.
Parallelen. In Offenbarung 20:12 sieht Johannes die Menschheit „gerichtet nach den Büchern“. Auch 3 Nephi 27:25 spricht von Aufzeichnungen, die im Himmel mit irdischen Listen übereinstimmen müssen. Das Buch, das Whitmer führen soll, ist also Sakrament und Verwaltungsakte zugleich.
Lehre für heute. Digitale Tools erleichtern uns nie gekannte Dokumentation. Die Frage bleibt: Schreibe ich in mein Tagebuch nur Selfies und Termine, oder auch Zeugnisse, Bündnisse, Opfer? Solche „Heilsgeschichten“ verleihen dem eigenen Glaubensweg Gewicht und bieten künftigen Generationen Orientierung.
Historischer Kern. Die junge Gemeinde hatte schmerzhaft erlebt, wie einzelne nach der Landzuteilung das Weihe‑Gelübde lösten und mit Grundstücken spekulierten. In Whitmers Chronik sollte deshalb nicht nur die „Sonntagsseite“ stehen; auch Versagen gehörte ins Protokoll.
Parallelen. Mosia 26:35-36 beschreibt eine ähnliche Situation: Alma wird geboten, jene, „die den Bund brechen“, aus den Kirchenbüchern zu löschen, jene, die ihn halten sollten festgehalten bleiben. Schrift verwahrt sowohl Ruhm als auch Warnung.
Lehre für heute. Kein Social‑Media‑Profil ist so ehrlich wie Gottes Buch. Wer Fehler ausblendet, beraubt sich der Gnade. Die Offenheit, eigenes Scheitern zu benennen, öffnet Räume für Umkehr – in Familie, Tagebuch, Gemeinde.
Historischer Kern. Die Gemeinde in Missouri sollte eine gerechte Güterordnung leben; doch etliche übersprangen den Bischof und kauften einfach Land. Vers 3 verknüpft Rechtsstatus (Weihungs‑Urkunde) und Kirchenmitgliedschaft: Ohne gelebte Hingabe kein namentlicher Platz in Zion.
Parallelen. Maleachi 3:10 fordert, den ganzen Zehnten in das Vorratshaus zu bringen; L & B 119:5 legt fest, dass wer den Zehnten nicht zahlt, „nicht würdig [ist], unter den Bewohnern des Landes Zion zu bleiben“. Das Prinzip bleibt: Materielle Loyalität spiegelt geistige Loyalität.
Lehre für heute. Unser „Erbteil“ ist selten Ackerboden, wohl aber Zeit, Talente und Einkommen. Ein ehrlich berechneter Zehnter und großzügiges Fastopfer zeigen dem Herrn, dass er Herr über alle Bereiche unseres Lebens ist – nicht nur über den Sonntag.
Historischer Kern. In einer Kultur, die Familienregister hochschätzte, war der Ausschluss aus genealogischen Listen drastisch. Zugleich kündigt der Vers an, dass Heilsgeschichte familiär gedacht wird: Wer seinen Bund hält, verankert seine Ahnen und Nachkommen im Gesetzbuch des Herrn.
Parallelen. Im Alten Testament wird jemand „ausgerottet aus dem Volk“ (z. B. Ex 32:33), wenn er Bundesbruch begeht. 3 Nephi 24:16 beschreibt das Gegenstück: „Ein Gedenkbuch wurde vor ihm geschrieben … für die, die seinen Namen fürchten.“
Lehre für heute. Tempel‑ und Familienforschung sind modernes Echo dieses Verses. Jede erlöste Person setzt geistige Ankerpunkte für ihre Linie. Wer seine Bündnisse verwirft, reißt Lücken in die Kette; wer sie hält, schließt Generationen zusammen.
Historischer Kern. Die Formulierung steigert den Ernst: Nicht nur der Einzelne, sondern ganze Familien verlieren den Zion‑Anspruch. In einer Agrarkultur, in der Erbrecht Identität stiftete, war das gleichbedeutend mit sozialer Heimatlosigkeit.
Parallelen. Alma 5:58 warnt: „Die Namen der Bösen werden nicht im Buch des Lebens eingeschrieben sein.“ Offb 3:5 verheißt, dass der Überwinder „nicht ausgelöscht wird aus dem Buch des Lebens“. Himmlische Listen sind somit dynamisch – sie reagieren auf unsere Treue.
Lehre für heute. Kirchenregister mögen äußerlich formal sein; innerlich erinnern sie uns, dass Zugehörigkeit nicht Kuschel‑Versprechen, sondern Bundes‑Realität ist. Wer aktiv im Kirchenleben steht, hält seinen Namen lebendig; wer passiv wird, riskiert geistige Anonymität.
Historischer Kern. Joseph Smith beschreibt hier sein eigenes Offenbarungserlebnis: Keine Donnerschau, sondern ein vibrierendes inneres Beben leitete die Antwort auf Phelps’ Frage ein. Damit legitimiert er zugleich den Brief als Wort Gottes.
Parallelen. 1 Könige 19:12 schildert, wie Elija den Herrn nicht im Sturm, sondern im „hauchdünnen Säuseln“ findet. 3 Nephi 11:3 berichtet, dass die Nephiten die Stimme Christi „hörten, aber sie verstanden sie nicht, denn sie war nicht laut, sondern eine sanfte Stimme“.
Lehre für heute. Präsident Boyd K. Packer betonte, Offenbarung werde „mehr gefühlt als gehört“. Fasten, Demut und ein ruhiges Herz schaffen Resonanzräume für diese „geistige Akustik“. In einer Welt permanenter Benachrichtigungen bleibt die Stille ein geistiges Trainingsfeld.
Schlussgedanken
Die Verse 1–6 von L & B 85 zeigen ein faszinierendes Geflecht aus Geschichtsschreibung, Ökonomie und Spiritualität. Sie lehren:
Schreiben ist heilig. Persönliche und kirchliche Chronik verbindet Erde mit Himmel.
Weihen statt horten. Besitz wird zum Bundeszeichen, wenn er Gott übergeben wird.
Zugehörigkeit hat Konsequenzen. Namen im Buch des Lebens sind keine Deko, sondern Ergebnis gelebter Treue.
Familiengeschichte ist Bundesgeschichte. Unsere Entscheidungen wirken genealogisch.
Offenbarung ist leise. Die leise sanfte Stimme fordert täglich geistige Achtsamkeit.
Wer diese Prinzipien heute anwendet, baut schon jetzt an Zion – nicht durch Zwang, sondern durch schriftlich bezeugte Hingabe, gelebte Großzügigkeit und achtsames Hören auf Gottes flüsternde Stimme.
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