Ihr müsst die Armen und die Bedürftigen besuchen
- manfred.lobstein
- 3. Mai
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(Bild: Quelle)
“Siehe, ich sage euch: Ihr müsst die Armen und die Bedürftigen besuchen und ihnen Hilfe zuteilwerden lassen, damit sie erhalten bleiben, bis alles gemäß meinem Gesetz geschehen kann, das ihr empfangen habt. Amen.” (Lehre und Bündnisse 44:6).
LuB 44:6 bringt die christliche Verantwortung in einer modernen Welt auf den Punkt: sich kümmern, lindern, ordnen – mit Herz und mit Handlung. Dieser Vers kann als Leitgedanke für persönliches Jüngertum wie auch für kirchliches Engagement im 21. Jahrhundert stehen.
Die Offenbarung in L&B 44 wurde Ende Februar 1831 empfangen, kurz nachdem Joseph Smith auf Geheiß des Herrn (L&B 37 und 38) nach Kirtland, Ohio, umgezogen war. Sie steht im Zusammenhang mit einer intensiven Zeit des Wachstums, aber auch der Herausforderungen für die junge Kirche. Der Herr gebot in dieser Offenbarung, dass sich die Ältesten der Kirche „versammeln“ sollten, um eine Konferenz abzuhalten. Diese Anweisung war eng mit organisatorischen, geistlichen und gesetzlichen Anliegen verbunden.
Zu diesem Zeitpunkt war die Kirche in Ohio stark gewachsen, doch es herrschte Unordnung unter den Gläubigen, und der Widersacher suchte, die Arbeit zu behindern. Joseph Smith schrieb an seinen Bruder Hyrum, dass er damit beschäftigt gewesen sei, „die Kirchen hier zu ordnen, da die Jünger zahlreich sind und der Teufel viele Versuche unternommen hat, sie zu stürzen.“ In einem weiteren Brief an Martin Harris bat er dringlich darum, die Ältesten, die entbehrt werden konnten, nach Kirtland zu schicken – dies „auf Gebot des Herrn“, weil „er eine große Arbeit für sie hat.“
Die Offenbarung in Abschnitt 44 diente somit als geistige Grundlage für dieses Gebot. Der Herr erklärte darin, dass es „zweckmäßig“ sei, die Ältesten zu versammeln – ein Begriff, den er häufig verwendet, um auf etwas hinzuweisen, das notwendig ist, um seine Absichten zu erfüllen. In diesem Fall sollten die versammelten Ältesten, wenn sie gläubig waren, mit dem Geist erfüllt werden. Dadurch würden sie machtvolle Prediger der Umkehr, was wiederum zur Bekehrung vieler Menschen führen sollte. Die daraus entstehende Stärke der Kirche würde es ermöglichen, sich rechtlich korrekt zu organisieren – sowohl nach weltlichem Gesetz als auch nach dem Gesetz der Weihe.
Diese Offenbarung hatte auch einen sehr praktischen Hintergrund: Nach dem Gesetz des Bundesstaates Ohio mussten mindestens zwanzig Mitglieder einer Kirche anwesend sein, um offizielle Amtsträger zu wählen und den Status der Kirche beim Bezirkssekretär eintragen zu lassen. Nur so konnte die Kirche rechtlich anerkannt werden und Eigentum besitzen. In dieser Zeit nahm auch der Widerstand gegen die Kirche zu – unter anderem durch Gegner wie Eber Howe und Grandison Newell, die wirtschaftlich, öffentlich und juristisch gegen die Kirche vorgingen. Der Herr bereitete durch diese Offenbarung die Mitglieder also nicht nur geistlich, sondern auch rechtlich und organisatorisch auf diese Herausforderungen vor.
Neben der Organisation legt der Herr in L&B 44 auch Wert auf tätige Nächstenliebe. Er fordert die Mitglieder auf, sich um die Armen und Bedürftigen zu kümmern und ihnen Hilfe zu leisten (Vers 6). Auch dies war ein Teil der Vorbereitung auf das Gesetz der Weihe, das in den darauffolgenden Monaten zunehmend im Mittelpunkt stand.
Die konkrete Umsetzung des Gebots erfolgte möglicherweise in einer besonderen Versammlung der Ältesten am 9. April 1831, wahrscheinlicher aber bei der Konferenz vom 6. Juni 1831. In seiner späteren Kirchengeschichte verband Joseph Smith diese Offenbarung direkt mit dieser Juni-Konferenz, in der er und andere das Hohe Priestertum empfingen – ein weiterer bedeutsamer Schritt in der Entwicklung der Kirche.
Damit war die Konferenz, zu der der Herr in LuB 44 aufrief, nicht nur die erste Generalkonferenz in Kirtland, sondern ein entscheidender Meilenstein im Aufbau der Kirche – geistlich, organisatorisch und rechtlich.
Seit der Zeit von LuB 44 hat sich die Abhaltung von Generalkonferenzen zu einem festen und zentralen Bestandteil im Leben der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage entwickelt.
Entwicklung und Praxis der Generalkonferenzen:
1. Frühzeit der Kirche (1830er Jahre): Die ersten Konferenzen fanden noch in eher kleinem Rahmen statt. Sie dienten vor allem der Organisation der Kirche, der Ordination von Priestertumsführern und der Besprechung von Offenbarungen und Missionsfragen. Die in LuB 44 gebotene Konferenz war beispielsweise die vierte Generalkonferenz überhaupt und die erste in Kirtland, Ohio.
2. Regelmäßigkeit: Im Lauf der Zeit wurde es zur Praxis, regelmäßig Generalkonferenzen durchzuführen. Seit dem späten 19. Jahrhundert werden sie halbjährlich abgehalten – jeweils am ersten Wochenende im April und im Oktober.
3. Ort: Seit der Fertigstellung des Tabernakels in Salt Lake City im Jahr 1867 fanden die Konferenzen dort statt. Seit 2000 ist das moderne Konferenzzentrum in Salt Lake City der Hauptversammlungsort – mit Platz für etwa 21.000 Besucher.
4. Ziel und Inhalt: Generalkonferenzen dienen der gesamten Kirche zur geistlichen Stärkung, Unterweisung und Führung. Die Erste Präsidentschaft, das Kollegium der Zwölf Apostel und andere Generalautoritäten sowie Generalbeamte sprechen zu den Mitgliedern weltweit. Die Themen reichen von Evangeliumsgrundsätzen, aktueller Offenbarung und Zeugnis bis hin zu gesellschaftlichen und familiären Fragen.
5. Technologische Entwicklung: Mit der weltweiten Ausbreitung der Kirche wurde auch die Übertragung der Konferenzen zunehmend wichtiger. Heute werden die Konferenzen live per Satellit, Fernsehen, Radio und Internet in mehr als 90 Sprachen ausgestrahlt – ein eindrucksvolles Zeugnis der Heimzentrierung und globalen Einheit der Kirche.
6. Rolle für die Mitglieder: Für Mitglieder weltweit sind Generalkonferenzen geistige Höhepunkte. Viele bereiten sich bewusst darauf vor, vergleichen die Ansprachen mit persönlichem oder familiärem Schriftstudium und setzen die erhaltenen Anweisungen und Eingebungen im Alltag um. In der modernen Kirche ist die Generalkonferenz daher sowohl geistliches Ereignis als auch ein Instrument der kontinuierlichen Offenbarung und Führung.
Kurz gesagt: Was mit einem Gebot zur Versammlung von Ältesten in Lehre und Bündnisse 44 begann, hat sich zu einer lebendigen Tradition der Offenbarung und weltweiten Gemeinschaft entwickelt – in der Christus durch lebende Propheten spricht.
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