In seine Ruhe eintreten
- manfred.lobstein
- vor 14 Stunden
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(Bild: Quelle)
“Dies nun lehrte Mose die Kinder Israel in der Wildnis in klarer Weise und trachtete eifrig danach, sein Volk zu heiligen, damit es das Angesicht Gottes sehen könnte; 24 aber es verhärtete sein Herz und konnte seine Gegenwart nicht ertragen; darum schwor der Herr in seinem Grimm, denn sein Zorn war gegen es entflammt, es sollte, solange es in der Wildnis sei, nicht in seine Ruhe eintreten, und diese Ruhe ist die Fülle seiner Herrlichkeit.” (Lehre und Bündnisse 84:23–24).
Lehre & Bündnisse 84 : 1–5 – Zion und ihr Tempel
Der Abschnitt eröffnet mit der Verheißung, „dass die Stadt des Neuen Jerusalem … gebaut werden soll … auf diesem Land“ (LuB 84:2–3). Schon Moroni hatte über „ein Neues Jerusalem“ geweissagt, „das auf diesem Land aufgebaut werden sollte“ (Ether 13:6). Die Vision Enochs, dessen Volk „ein Herz und eine Seele“ war (Mose 7:18), vertieft das Bild. Biblisch klingt hier die Johannesoffenbarung an: „Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen“ (Offb 21,2). Vers 4 gebietet, „dieses Haus“ noch in jener Generation zu errichten; dass die Heiligen scheiterten, liegt, wie der Herr später erklärt, an „Zank, Neid und Streit“ (LuB 101:6–8). Gleichwohl erfüllte sich Vers 5, denn „ein Haus“ wurde tatsächlich in Kirtland geweiht (LuB 109).
Verse 6–9 – Die priesterliche Stammreihe
„Und dieses Priestertum ging von Moses auf Aaron über“ (LuB 84:6). Die Linie wird weiter zurückverfolgt bis Adam, doch bemerkenswert ist, dass Moses sein Priestertum „durch Jethro, den Midianiter“ empfing (V. 6), was auf Exodus 18 Bezug nimmt. Durch Jethro, einen Nachkommen Midians (Gen 25,2), macht der Herr deutlich, dass seine Vollmacht nicht an ethnische Grenzen gebunden ist. Paulus bekräftigt im Neuen Testament dieselbe Universalität, wenn er schreibt: „Es ist kein Unterschied zwischen Jude und Grieche“ (Röm 10,12).
Verse 10–13 – Uralte Zeugen der Hohepriesterschaft
Vers 11 nennt Esaias, „der unter der Hand Gottes ordiniert wurde“. Damit erscheint eine prophetische Gestalt außerhalb des kanonischen Alten Testaments; doch seine Platzierung nahe Abraham erinnert an den „König Melchisedek“ (Hebr 7,1). Die Aussage, Esaias sei „von Abraham ordiniert“ (LuB 84:13), unterstreicht, dass das Melchisedekische Priestertum schon lange vor Empfang der Gesetze durch Mose am Sinai wirkte. Abraham selbst empfing es „von Melchisedek“ (V. 14), was Genesis 14:18–20 bezeugt und im Alma-Text erläutert wird: „Viele waren vor ihm, doch keiner größer“ (Alma 13:19).
Verse 14–17 – Melchisedek, Noah und Abel
„Melchisedek … empfing es … bis zu Noah hinab“ (LuB 84:14–15). Damit wird Melchisedek nicht als Sohn, sondern als Nachfahre Noahs eingeordnet, womit die verbreitete Gleichsetzung von Melchisedek und Schem in Frage steht. Bemerkenswert ist der Hinweis auf Abel: „Abel empfing das Priestertum durch die Hand seines Vaters Adam“ (V. 16). So wird die Tragweite von Abels Ermordung klar: Kain vergoss nicht nur brüderliches Blut, sondern das Blut eines rechtmäßigen Priester-Erben (vgl. Hebr 11,4).
Verse 18–19 – Zweck der höheren Vollmacht
Das größere Priestertum „hält die Schlüssel aller Mysterien des Reiches, ja, den Schlüssel der Erkenntnis Gottes“ (LuB 84:19). Schon Petrus erhielt solche Schlüssel, um „aufzutun die Türen des Himmelreichs“ (Mt 16,19). Die Verknüpfung von Schlüssel, Mysterium und Erkenntnis erinnert an „das Geheimnis Christi“ (Eph 3,4–6), das Heiden wie Juden zur Teilhabe einlädt.
Verse 20–22 – Ohne Vollmacht kein „Gesicht Gottes“
„Darum ist die Macht der Göttlichkeit in seinen Verordnungen offenbar“ (V. 20). Dass „ohne dies kein Mensch das Angesicht Gottes sehen … und leben kann“ (V. 22) verweist auf die Sinai-Theophanie, in der nur ausgewählte Älteste Gott schauten und lebten (Ex 24,9–11). Die Aussage zielt nicht auf das formale Amt, sondern auf die durch ordinanzielle Bündnisse vermittelte „Macht der Göttlichkeit“. Johannes bringt denselben Gedanken christologisch auf den Punkt: „Niemand kommt zum Vater denn durch mich“ (Joh 14,6).
Verse 23–24 – Mose und das verlorene Privileg
„Nun war also Moses in der Wüste … und suchte eifrig, sein Volk zu heiligen, … damit auch sie das Angesicht Gottes schauen könnten“ (LuB 84:23). Doch Israel „verhärtete sein Herz“, sodass der Herr „seinen heiligen Priestertumssatz aus ihrer Mitte wegnahm“ (V. 24). Die Joseph-Smith-Übersetzung von Exodus 34:1–2 bestätigt, dass anstelle der Fülle nur „ein Gesetz nach dem Gebot des Fleisches“ gegeben wurde. Paulus fasst diesen heilsgeschichtlichen Wechsel so: „Das Gesetz ist unser Zuchtmeister gewesen … bis Christus käme“ (Gal 3,24).
Vers 25 – „Im Zorn schwor ich“
Der Herr bezeugt abschließend: „Darum schwor ich in meinem Zorn: Sie sollen nicht in meine Ruhe eingehen“ (LuB 84:25). Das Zitat greift Psalm 95,11 auf, das auch der Hebräerbrief zitiert (Hebr 3,11), um zu zeigen, dass Unglaube den Zugang zu Gottes Ruhe verwehrt. „Ruhe“ (hebräisch menūḥā) bedeutet hier mehr als Landesbesitz; sie meint die Gegenwart Gottes selbst (Hebr 4,9–11). Indem Joseph Smith dieselbe Warnung auf seine Generation anwendet, macht er klar: Die Fülle des Priestertums bleibt auch den Letzten Tagen verwehrt, solange Herz-Verhärtung und Unglaube bestehen.
Zusammenfassung
Die ersten 25 Verse von LuB 84 entfalten in dichter Folge die Vision einer endzeitlichen Zion-Stadt, die reinen Herzen verheißen ist, und verankern diese Vision in der fortlaufenden Geschichte des Priestertums von Adam bis Mose. Die Bibel dient dabei als Spiegel und Resonanzraum: Ether 13 und Offenbarung 21 illustrieren die Stadt Gottes; Genesis 14, Exodus 18 und Hebräer 7 zeigen, wie Melchisedek-Vollmacht schon in der Urzeit wirkte; Galater 3 und Psalm 95 erklären, warum Israel unter das „gesetzliche“ Joch geriet. Alles mündet in die Zusage, dass göttliche Schlüssel und Verordnungen den Zugang zur „Ruhe“ eröffnen – vorausgesetzt, das Volk empfängt sie willig. Joseph Smiths Offenbarung aktualisiert somit das biblische Drama von Verheißung, Treuebruch und erneuter Einladung und macht es zum Leitfaden für die Heiligen der Wiederherstellung.
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