Kleine Kinder sind heilig
- manfred.lobstein
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(Bild: Quelle)
“aber kleine Kinder sind heilig, heilig gemacht durch das Sühnopfer Jesu Christi; und dies ist es, was die Schriften besagen.” (Lehre und Bündnisse 74:7).
L&B 74 ist eine erklärende Offenbarung, die sich auf eine schwierige Passage des Neuen Testaments bezieht: 1 Korinther 7:14. Diese Bibelstelle wurde in der damaligen Zeit oft zur Rechtfertigung der Kindertaufe herangezogen – eine Praxis, die in der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage entschieden abgelehnt wird. Die Offenbarung wurde laut Angaben des Kirchengeschichtlers John Whitmer bereits im Jahr 1830 empfangen – also vor der offiziellen Organisation der Kirche – und wurde von ihm unter dem Titel „Erklärung einer Schriftstelle“ in das Offenbarungsbuch aufgenommen.
Historischer Hintergrund
Bereits vor der Gründung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage beschäftigte sich Joseph Smith mit Fragen rund um die richtige Art und das Alter für die Taufe. Viele frühere christliche Konfessionen praktizierten die Kindertaufe, was zu Diskussionen und Unsicherheiten führte – insbesondere unter neuen Bekehrten. Die in 1 Korinther 7:14 enthaltene Aussage, dass „der ungläubige Mann durch die Frau geheiligt ist und umgekehrt, sonst wären eure Kinder unrein; nun aber sind sie heilig“, wurde von einigen als biblischer Beleg dafür gesehen, dass Kinder durch die Ehe ihrer Eltern in irgendeiner Form geheiligt und deshalb auch durch Taufe von Sünde gereinigt werden müssten. Diese Auslegung widersprach jedoch dem, was Joseph Smith durch Offenbarung über die geistige Natur der Kinder erfuhr: Kleine Kinder sind durch das Sühnopfer Christi bereits heilig und bedürfen keiner Taufe.
Die Situation zur Zeit des Paulus
Die Offenbarung in L&B 74 gibt tiefergehenden historischen Kontext zu 1 Korinther 7:14 und macht deutlich, dass Paulus hier nicht über Kindertaufe spricht, sondern über die Auswirkungen von Mischehen zwischen Gläubigen und Ungläubigen in der Frühkirche. Im Judentum des ersten Jahrhunderts war das Gesetz der Beschneidung für alle verbindlich, die nicht an Jesus Christus glaubten. Wenn also ein jüdischer Vater, der Christus nicht als Messias anerkannte, Kinder hatte, wollte er diese gemäß den mosaischen Vorschriften beschneiden lassen. Die gläubige Mutter hingegen wollte ihre Kinder im Evangelium Christi erziehen. Dies führte zu Spannungen, denn die Erziehung unter dem mosaischen Gesetz machte die Kinder empfänglich für die Überlieferungen und verhinderte unter Umständen die Annahme des Evangeliums.
Daher, so erklärt D&C 74, habe Paulus empfohlen, dass Gläubige möglichst keine Ehe mit Ungläubigen eingehen sollten – nicht, weil die Ehe an sich sündhaft wäre, sondern um zu verhindern, dass die Kinder unter gegensätzlichen religiösen Einflüssen stehen. Wichtig ist dabei, dass Paulus selbst schreibt, dieses Gebot sei nicht vom Herrn direkt, sondern sein eigener Rat (D&C 74:5; 1 Korinther 7:12). Damit wird deutlich, dass der Apostel hier praktische Weisheit aus der damaligen Situation heraus formulierte, ohne den Anspruch göttlicher Offenbarung zu erheben.
Theologische Klärung und Ablehnung der Kindertaufe
Die Verse 6–7 in D&C 74 machen schließlich deutlich, dass die jüdische Vorstellung, kleine Kinder seien „unheilig“, durch das Sühnopfer Jesu Christi hinfällig geworden ist. „Aber kleine Kinder sind heilig, heilig gemacht durch das Sühnopfer Jesu Christi“ (Vers 7). Damit stellt der Herr klar, dass alle Kinder durch Christus geheiligt sind und keiner weiteren rituellen Handlung zur Reinigung bedürfen. Diese Lehre harmoniert vollständig mit dem Buch Mormon, wo der Prophet Mormon in Moroni 8 mit aller Deutlichkeit erklärt, dass Kindertaufe eine „gräuliche Verkehrtheit“ sei und dass „kleine Kinder leben in Christus von Grundlegung der Welt an“ (Moroni 8:8, 12).
Die Offenbarung in D&C 74 steht somit auch im Zusammenhang mit Lehren aus D&C 20:70–71, wonach Kinder in der Kirche zwar gesegnet, aber erst mit dem Erreichen des „Rechenschaftsalters“ getauft werden sollen. In D&C 68:27 wird dieses Alter mit acht Jahren bestimmt. Dies ist nicht nur eine organisatorische Regel, sondern Ausdruck tiefer theologischer Überzeugung: Die Taufe ist eine Bündnishandlung für Menschen, die fähig sind, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, Reue zu empfinden und sich bewusst für Christus zu entscheiden.
Lehren für unsere Zeit
L&B 74 ist auch für unsere Zeit hochaktuell, sowohl in theologischer als auch in praktischer Hinsicht:
1. Bedeutung der Familie und des Glaubensumfelds für Kinder: Die Offenbarung verdeutlicht, wie wichtig ein einheitliches Glaubensumfeld für die religiöse Entwicklung von Kindern ist. In einer Zeit, in der interreligiöse oder konfessionsübergreifende Ehen häufig sind, ist dies besonders relevant. Zwar ist es möglich, in solchen Ehen harmonisch zu leben, doch bedarf es klarer Absprachen und liebevoller Kommunikation, insbesondere im Hinblick auf die religiöse Erziehung von Kindern. Die Offenbarung erinnert daran, dass ein gläubiges Elternteil großen Einfluss auf die Heiligkeit und das Glaubensleben seiner Kinder haben kann. Lies auch gerne “Die Familie – eine Proklamation an die Welt”.
2. Wahrer Charakter Gottes in Bezug auf Kinder: Ein zentrales theologisches Thema der Offenbarung ist die Barmherzigkeit Gottes gegenüber den Unschuldigen. Der Gedanke, dass ein Kind verdammt würde, weil es nicht getauft wurde, widerspricht zutiefst dem Wesen eines gerechten und liebevollen Gottes. Die Offenbarung bekräftigt die Lehre, dass alle Kinder durch das Sühnopfer Christi gerettet sind. Dies kann Eltern, die ein Kind verloren haben, Trost spenden und bestätigt die Gerechtigkeit und Liebe Gottes auf tiefster Ebene.
3. Warnung vor religiöser Tradition ohne Offenbarung: Die frühe Kirche kämpfte mit der Herausforderung, das Evangelium Christi von den überlieferten Gesetzen des Mose zu unterscheiden. Auch heute besteht die Gefahr, dass sich religiöse Praktiken durch Traditionen und kulturelle Muster entwickeln, ohne dass sie durch Offenbarung oder Evangeliumswahrheiten gedeckt sind. Die Offenbarung ermahnt dazu, immer die Lehren Jesu Christi – insbesondere sein Sühnopfer – ins Zentrum zu stellen und rituelle Handlungen auf ihre geistige Bedeutung und göttliche Legitimation hin zu prüfen.
4. Wert der prophetischen Offenbarung zur Schriftauslegung: L&B 74 zeigt auch die Rolle des Propheten als Schriftausleger. Joseph Smith hat in einer Zeit großer theologischer Verwirrung durch Offenbarung den wahren Sinn von Bibelstellen klargemacht, die missverstanden oder falsch angewendet wurden. Dies ist ein Hinweis darauf, dass wir weiterhin auf lebende Propheten und apostolische Lehre vertrauen sollen, wenn es um die Interpretation schwieriger Schriftstellen geht.
Fazit
L&B 74 ist eine vergleichsweise kurze, aber theologisch tiefgründige Offenbarung. Sie klärt nicht nur eine schwierige Passage des Neuen Testaments, sondern weist deutlich auf zentrale Glaubenswahrheiten hin: die Reinheit und Heiligkeit der Kinder, die Wichtigkeit eines konsistenten Glaubensumfeldes in der Familie, den Vorrang des Evangeliums Christi gegenüber alttestamentlichen Traditionen und die Notwendigkeit inspirierter Schriftauslegung durch Propheten. In einer Welt voller religiöser Meinungsvielfalt und moralischer Unsicherheit erinnert uns diese Offenbarung daran, dass Gott ein Gott der Ordnung, Gerechtigkeit und vor allem der Barmherzigkeit ist – besonders gegenüber den Kleinsten unter uns.
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