Lass ab von allem Unrecht
- manfred.lobstein
- 21. Juni
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(Bild Quelle)
“Trachte danach, dass dich nichts belaste. Lass ab von allem Unrecht. Begehe nicht Ehebruch – eine Versuchung, die dich beunruhigt hat.” (Lehre und Bündnisse 66:10).
Lehre und Bündnisse 66 – Geschichtlicher Hintergrund und heutige Anwendung
I. Historischer Hintergrund von Lehre und Bündnisse 66
Am 29. Oktober 1831 empfing der Prophet Joseph Smith in Hiram, Ohio, eine Offenbarung für William E. McLellin, ein frisch bekehrtes Mitglied der Kirche Jesu Christi. Diese Offenbarung war eine direkte Antwort auf fünf persönliche Fragen, die McLellin im Gebet geheim vor den Herrn gebracht hatte. Joseph Smith wusste nichts von diesen Fragen, was den Geist der Offenbarung für McLellin umso eindrucksvoller machte. Später schrieb McLellin, die Offenbarung habe „jede Frage zu meiner vollen und ganzen Zufriedenheit beantwortet.“
William E. McLellin war im Sommer 1831 in Paris, Illinois, durch die Missionare Samuel H. Smith und Reynolds Cahoon zum Evangelium gekommen. Kurz darauf wurde er getauft und zum Ältesten ordiniert. Sein brennender Wunsch, dem Propheten persönlich zu begegnen, führte ihn im Herbst nach Kirtland und anschließend zur Konferenz in Orange, Ohio, wo er am 25. Oktober 1831 zum Hohepriester ordiniert wurde. Von dort begleitete er Joseph Smith nach Hiram und blieb etwa drei Wochen bei ihm. Während dieses Aufenthalts bat er im Stillen um göttliche Führung – und erhielt sie durch Abschnitt 66.
Die Fragen, die McLellin bewegten, sind nicht im Wortlaut überliefert, lassen sich jedoch anhand des Offenbarungstextes rekonstruieren. Vermutlich fragte er:
Die Offenbarung bestärkte McLellin in seinem Zeugnis, wies ihn aber auch deutlich auf Bereiche hin, in denen er noch umkehren musste. Besonders auffällig ist die Warnung des Herrn vor der Sünde des Ehebruchs – eine Versuchung, mit der McLellin offensichtlich rang, insbesondere nach dem frühen Tod seiner Frau.
II. Inhaltliche Analyse von Abschnitt 66
Die Offenbarung beginnt mit einem segnenden Ton. William wird für seine Umkehr, seine Annahme des immerwährenden Bundes und seine Treue zum Evangelium gewürdigt (Verse 1–2). Diese positive Bestärkung ist typisch für göttliche Offenbarung: Sie zeigt zunächst das Potenzial und die bisherigen Fortschritte des Empfängers auf, bevor sie zur Umkehr auffordert.
Dann folgt ein wichtiger Wendepunkt: William sei zwar rein, aber „nicht ganz“ (V. 3). Der Herr würde ihm seine verbleibenden Schwächen zeigen. Daraus ergibt sich ein tiefes Prinzip: Auch wer das Evangelium angenommen hat, braucht weiterhin Offenbarung und geistige Führung zur persönlichen Läuterung. Niemand ist je „fertig“ in seiner Jüngerschaft.
In den Versen 5 bis 8 wird McLellin zum Missionsdienst berufen. Er soll das Evangelium im Osten verkündigen, „von Stadt zu Stadt“, und sich nicht mit Besitz oder dem Aufbruch nach Zion beschäftigen. Seine Berufung ist dringlich, ortsübergreifend und verlangt Verzicht. Der Herr ordnet ihm Samuel H. Smith als Begleiter zu – mit der Anweisung, ihn nicht zu verlassen.
Die Verse 9 bis 13 enthalten geistliche Verheißungen, Mahnungen und konkrete Warnungen. McLellin wird die Gabe des Heilens zugesagt, sofern er Glauben hat. Gleichzeitig wird ihm geboten, seine Versuchungen ernst zu nehmen und keine Unzucht zu begehen. Das zeigt, dass selbst begabte, gläubige Männer mit realen Schwächen zu kämpfen hatten – und dass geistige Berufung keine Immunität gegen Versuchung bedeutet.
Der Abschnitt endet mit einer kraftvollen Verheißung: Wer bis ans Ende ausharrt, wird „eine Krone ewigen Lebens“ erhalten (V. 12). Diese Bedingung – bis ans Ende treu zu bleiben – zieht sich durch die ganze Schrift und verdeutlicht den fortwährenden Charakter wahrer Nachfolge.
III. Konsequenzen für unser heutiges Handeln
1. Offenbarung ist persönlich – und verlangt Gehorsam
William E. McLellin empfing durch den Propheten sehr konkrete Antworten auf seine tiefsten inneren Fragen. Doch entscheidend war nicht das Erhalten der Offenbarung, sondern die Reaktion darauf. Der historische Verlauf zeigt, dass McLellin sich anfangs bemühte, die Anweisungen zu befolgen – dann aber mehrfach scheiterte: Er verließ seinen Missionsgefährten, kehrte eigenmächtig zurück, widersetzte sich später dem Gesetz der Weihung und wandte sich letztlich von der Kirche ab.
Die Lehre für uns ist klar: Offenbarung ist kein Selbstzweck. Sie ist Einladung zur Umkehr und zum Handeln. Wer um göttliche Führung bittet, muss bereit sein, dieser auch zu folgen – unabhängig von Bequemlichkeit oder persönlichen Wünschen.
2. Jeder Mensch hat individuelle Schwächen – und individuelle Hilfe
Der Herr hat McLellins Versuchung nicht verschwiegen, sondern direkt angesprochen. Diese Offenheit zeigt: Gott kennt uns völlig. Unsere Schwächen schrecken ihn nicht – solange wir bereit sind, sie ihm zu bekennen und uns führen zu lassen. Der Auftrag, „lass ab von allem Unrecht“ (L&B 66:10), ist nicht abstrakt, sondern konkret und seelsorgerlich.
Für uns bedeutet das: Wir dürfen Gott auch unsere dunklen Seiten zeigen – in der Gewissheit, dass seine Hilfe individuell, liebevoll und zielgerichtet ist. Niemand ist zu schwach, um ein Werkzeug in Gottes Händen zu sein – wenn er willig ist, sich formen zu lassen.
3. Geistiger Fortschritt ist ein Weg – kein Zustand
Die Formulierung „du bist rein, aber nicht ganz“ ist geistlich bedeutend. Sie zeigt, dass es im Evangelium keine statische Heiligkeit gibt. Auch ein treuer Hohepriester, der missioniert und das Evangelium angenommen hat, ist nicht „fertig“. Es gibt immer weitere Ebenen der Umkehr, des Lernens und der Weihe.
Für uns heute ist das ein Trost und eine Herausforderung zugleich. Trost, weil niemand perfekt sein muss, um gebraucht zu werden. Herausforderung, weil niemand sich auf geistigen Lorbeeren ausruhen darf. Die Reise mit Christus ist immer fortlaufend – und immer lohnend.
4. Geistige Gaben sind an Glauben und Gehorsam gebunden
Der Herr verspricht McLellin die Gabe, Kranke durch Handauflegung zu heilen (V. 9). Historische Quellen bestätigen, dass McLellin diese Gabe tatsächlich ausübte. Das zeigt: Geistige Macht ist real – aber an Demut, Glauben und Gehorsam gebunden. Wenn wir Glauben üben und im Auftrag Gottes handeln, können auch wir heute geistige Gaben empfangen und segensreich wirken.
5. Geistliche Berufung übertrumpft persönliche Wünsche
McLellin wurde ausdrücklich geboten, nicht nach Zion zu gehen und sich nicht mit Besitz oder familiären Verpflichtungen aufzuhalten (V. 6, 10). Dennoch heiratete er, zog nach Missouri und kaufte Land – im Gegensatz zur Offenbarung. Seine persönlichen Wünsche übertrumpften seinen geistlichen Auftrag.
Das mahnt uns: Wer Christus folgen will, muss bereit sein, eigene Wünsche, Pläne und Prioritäten hintanzustellen. Geistliche Berufung erfordert Opferbereitschaft. Doch wer bereit ist, dem Herrn zu dienen, wie er es will, wird weit mehr empfangen als er aufgibt.
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