Siehe, wie groß ist eure Berufung
- manfred.lobstein
- vor 5 Tagen
- 5 Min. Lesezeit

(Bild: Quelle)
„Wahrlich, ich sage euch: Siehe, wie groß ist eure Berufung. Säubert euer Herz und euer Gewand, damit nicht das Blut dieser Generation von euren Händen gefordert wird.“ (Lehre und Bündnisse 112:33).
Lehre und Bündnisse 112:16–34 – Die Schlüssel des Reiches und die Treue bis ans Ende
In den Versen 16 bis 34 des Abschnitts 112 wird der Blick vom persönlichen Auftrag Thomas B. Marshs auf die gesamte Führungsebene der Kirche ausgeweitet. Während die ersten fünfzehn Verse Marshs Demut, sein Zeugnis und seine Rolle als Präsident der Zwölf in den Vordergrund stellten, zeigen die folgenden Verse die weite Dimension der Berufung der Zwölf Apostel und ihre Beziehung zur Ersten Präsidentschaft.
1. Marshs Rolle unter den Zwölf (Verse 16–17)
Der Herr erklärt Marsh: „Du bist der Mann, den ich erwählt habe, die Schlüssel meines Reiches innezuhaben, was die Zwölf betrifft, draußen unter allen Nationen“ (Vers 16). Damit wird Marsh’ einzigartige Stellung innerhalb des Kollegiums betont. Seine Aufgabe ist nicht die Leitung aller Aspekte der Kirche, sondern insbesondere die weltweite Mission. Während Joseph Smith, Sidney Rigdon und Hyrum Smith mit der „Bürde aller Gemeinden“ (Vers 18) in Kirtland und Missouri belastet waren, sollte Marsh dort wirken, wo diese nicht hinkommen konnten.
Hier wird deutlich: Führung im Reich Gottes ist arbeitsteilig, doch immer mit Blick auf das große Ganze. Marsh war nicht selbstständig über den Zwölf gesetzt, sondern Träger einer Delegation von Schlüsseln, die er im Auftrag des Herrn und in Einheit mit Joseph Smith ausüben sollte.
2. Die Zusage göttlicher Hilfe (Verse 19–22)
Die Berufung, „die Tür des Reiches“ für die Nationen zu öffnen (Vers 17), ist gewaltig. Sie geht weit über menschliche Möglichkeiten hinaus. Deshalb verspricht der Herr Marsh und den Zwölf: „An welchem Ort auch immer du meinen Namen verkündigen wirst, da wird sich dir eine wirksame Tür öffnen“ (Vers 19).
Hier zeigt sich ein Grundprinzip der Missionsarbeit – damals wie heute: Der Erfolg hängt nicht in erster Linie von der Begabung des Missionars ab, sondern von der Verheißung Gottes. Türen öffnen sich, wenn Menschen sich demütigen, das Wort annehmen und auf die Stimme des Geistes hören (Vers 22).
Für uns bedeutet das: Wir sollen unsere Berufung nicht nach menschlichen Maßstäben messen, sondern auf göttliche Hilfe vertrauen. Wo wir im Namen des Herrn handeln, bereitet er Wege.
3. Die Verbindung zur Ersten Präsidentschaft (Verse 20–21, 30)
Ein zentrales Thema dieser Verse ist die Beziehung zwischen den Zwölf und der Ersten Präsidentschaft. „Wer auch immer mein Wort empfängt, der empfängt mich, und wer auch immer mich empfängt, der empfängt jene, die Erste Präsidentschaft“ (Vers 20). Der Herr macht unmissverständlich klar, dass seine Autorität durch die Erste Präsidentschaft kanalisiert wird.
Die Zwölf haben die Schlüssel „für die letzten Tage und für die letzte Zeit“ (Vers 30), aber sie handeln in enger Abstimmung mit der Ersten Präsidentschaft, die ihre Ratgeber und Führer ist. In der damaligen Situation, wo Spannungen zwischen einzelnen Aposteln und Joseph Smith aufbrachen, war dies eine deutliche Klarstellung: Einheit mit der Ersten Präsidentschaft ist nicht optional, sondern wesentlich.
4. Die ernste Warnung: Finsternis über die Erde (Verse 23–26)
Nach den Zusicherungen folgt ein eindringlicher Abschnitt: „Finsternis bedeckt die Erde und tiefe Finsternis den Sinn der Völker“ (Vers 23). Der Herr spricht von einem kommenden „Tag des Grimms“ und kündigt Gericht an, das „an meinem Haus“ beginnen wird (Vers 25).
Das ist bemerkenswert. Gericht und Reinigung betreffen zuerst die Heiligen selbst – „die bekannt haben, meinen Namen zu kennen, aber mich nicht gekannt haben“ (Vers 26). In einer Zeit, in der es innerhalb der Kirche Zweifel, Abfall und offene Rebellion gab, war das ein scharfer Hinweis: Die Heiligen sollen sich nicht auf ihrem Bund ausruhen, sondern wahre Treue beweisen.
Heute mahnt uns dieser Abschnitt, dass Zugehörigkeit zur Kirche allein nicht genügt. Entscheidend ist, Christus wirklich zu kennen – durch Umkehr, Gehorsam und Hingabe.
5. Auftrag zur weltweiten Verkündigung (Verse 27–29)
Nach der Warnung folgt die erneute Beauftragung: „Geht hin in alle Welt, und predigt mein Evangelium jedem Geschöpf“ (Vers 28). Dieser universale Auftrag verweist direkt auf das Neue Testament (vgl. Markus 16:15–16).
Bemerkenswert ist, dass der Herr diese Worte in einem Moment großer innerer Unruhe gibt. Statt sich von Konflikten in Kirtland oder Missouri lähmen zu lassen, sollen die Zwölf den Blick nach außen richten. Mission ist Heilung gegen Selbstbezogenheit.
Für uns heute gilt: Wenn Herausforderungen in unserem Umfeld uns zu erdrücken drohen, kann der Blick auf die Verkündigung des Evangeliums – sei es durch Zeugnis, durch Nächstenliebe oder durch Erziehung der Kinder im Glauben – neue Kraft geben.
6. Die Schlüssel der Fülle der Zeiten (Verse 30–32)
Besonders theologisch bedeutsam ist die Lehre von den „Schlüsseln der Evangeliumszeit“. Der Herr erklärt, dass die Macht des Priestertums, die den Zwölf und der Ersten Präsidentschaft gegeben wurde, die gleiche ist, die seit den Tagen Adams in jeder Evangeliumszeit wirksam war.
Damit wird ein überzeitlicher Bogen gespannt: Die Berufung der Zwölf in den letzten Tagen steht in direkter Linie mit den Patriarchen, Propheten und Aposteln aller früheren Zeitalter. Dies betont sowohl die Würde als auch die Verantwortung des Amtes.
7. Der Höhepunkt: Treue und Reinheit (Verse 33–34)
Der Abschnitt kulminiert in der eindringlichen Mahnung: „Siehe, wie groß ist eure Berufung. Säubert euer Herz und euer Gewand“ (Vers 33). Die Größe der Berufung könnte einschüchtern, doch der Herr verbindet sie mit einer klaren Handlungsanweisung: Reinheit des Herzens und Treue bis ans Ende.
Hier zeigt sich eine Parallele zu Hesekiel 3:18–19, wo der Prophet für das Blut derer verantwortlich gemacht wird, denen er das Wort nicht weitergibt. Für die Zwölf galt dies in besonderem Maß – doch auch wir sind aufgerufen, unsere Verantwortung im Zeugnisgeben ernst zu nehmen.
Anwendung für uns heute
Die Verse 16–34 sprechen eindringlich über Verantwortung, Einheit und Demut. Für uns ergeben sich drei Kernanwendungen:
Unsere Berufung ist größer, als wir ahnen. Ob als Eltern, Lehrende, Nachbarn oder Missionare – wir stehen in einer Linie mit allen, die das Evangelium bezeugt haben. Das soll uns ermutigen.
Reinheit ist entscheidend. Wir können unsere Berufung nicht erfüllen, wenn unser Herz geteilt oder unser Gewissen beschmutzt ist. Umkehr und Demut halten uns fähig, Gottes Werk zu tun.
Einheit mit den Führern der Kirche. Der Herr macht klar, dass seine Macht durch die Erste Präsidentschaft und die Zwölf geleitet wird. Auch heute empfangen wir durch sie Richtlinien und Orientierung.
Damit entfaltet sich in den Versen 16–34 ein Panorama, das von der individuellen Berufung Marshs zur kosmischen Dimension des Priestertums reicht. Es ist ein Abschnitt, der sowohl Ehrfurcht als auch Demut hervorruft.
Die Einstiegsfrage bleibt: „Wenn der Herr dir sagen würde: ‚Siehe, wie groß ist deine Berufung‘ – würdest du dich ermutigt oder überfordert fühlen?“ Vielleicht gilt beides. Doch entscheidend ist, dass der Herr uns in unserer Berufung nicht allein lässt. Er gibt Schlüssel, Verheißungen und seine Hand, die uns führt – bis ans Ende.
Kommentare