Und ich, Johannes, gebe Zeugnis
- manfred.lobstein
- 26. Aug.
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(Bild: Quelle)
“Und ich, Johannes, gebe Zeugnis, dass ich seine Herrlichkeit schaute, nämlich die Herrlichkeit des Einziggezeugten des Vaters, voller Gnade und Wahrheit, ja, der Geist der Wahrheit, der kam und im Fleische wohnte und unter uns wohnte.” (Lehre und Bündnisse 93:11).
Licht und Wahrheit empfangen – Eine Betrachtung zu Lehre und Bündnisse 93:1–11
Die ersten elf Verse von Lehre und Bündnisse 93 gehören zu den geistlich tiefgründigsten Abschnitten der Offenbarungen die Joseph erhielt. Sie bilden nicht nur die Einleitung zu einer bedeutenden theologischen Offenbarung, sondern enthalten bereits auf engstem Raum zentrale Lehren über Erkenntnis, Licht, Wahrheit und die Beziehung des Menschen zu Christus. Besonders bemerkenswert ist, wie diese Verse hohe göttliche Verheißungen mit klaren Aufforderungen zum persönlichen Handeln verbinden – und damit jeden Leser einladen, Teil einer lebendigen Begegnung mit dem Erlöser zu werden.
Bereits der erste Vers ist eine machtvolle Einladung: Jeder Mensch – ohne Einschränkung – kann Christus erkennen, ihn erfahren, ihn „sehen“ und wissen, dass er lebt. Doch dieser verheißene Zustand göttlicher Erkenntnis ist an Bedingungen geknüpft. Wer diesen Weg gehen will, muss sich bewusst von Sünde abkehren, sich Christus zuwenden, seinen Namen anrufen, seine Stimme hören und seine Gebote halten. Es handelt sich dabei nicht um abstrakte Ratschläge, sondern um konkrete geistliche Schritte, die jeden Gläubigen auffordern, in eine tiefergehende Nachfolge einzutreten. Die Reihenfolge ist nicht zufällig: Zuerst kommt die Umkehr vom Bösen, dann die Hinwendung zum Herrn, das Gebet um Erkenntnis, das Hören auf seine Stimme – und schließlich der Gehorsam, der zu weiterer Erkenntnis führt.
Der zweite bis fünfte Vers vertieft dieses Thema, indem Christus als der „Geist der Wahrheit“ bezeichnet wird, den Johannes bezeugt hat. Hier wird auf ein uraltes Zeugnis Bezug genommen, das Johannes der Täufer überliefert hat (Johannes 1:34). Besonders auffällig ist der Hinweis, dass Christus nicht allein die Wahrheit besitzt, sondern sie selbst ist – und dass er sie empfangen hat, wie jeder andere geistige Mensch auch, nur in vollkommenem Maß. Er handelt mit Vollmacht des Vaters, ist eins mit ihm, ist sein vollkommener Repräsentant. Wer also Christus erkennt, erkennt auch den Vater. Wer sein Licht annimmt, nimmt das Licht Gottes auf. Daraus ergibt sich eine wichtige Folgerung: Wer Christus kennenlernt, wird nicht nur in einen persönlichen Bund mit ihm treten, sondern auch an seiner Fülle Anteil erhalten.
Die Aussage, dass „Christus im Vater ist, und der Vater in ihm“, verdeutlicht, wie innig die Einheit zwischen beiden besteht – eine Einheit nicht nur des Willens, sondern des Wesens (eine tiefe Einheit im Charakter, in Absicht, Geist, Macht, Herrlichkeit und Wahrheit), gegründet auf Wahrheit, Licht und Gnade. Diese enge Verbindung ist nicht nur ein theologisches Prinzip, sondern ein Vorbild für das eigene geistige Streben. Wie Christus eine Fülle des Vaters empfangen hat, so wird auch der gläubige Mensch eingeladen, „Zeile um Zeile“ an dieser Fülle teilzuhaben – ein zentrales Motiv, das später im Kapitel noch intensiver entfaltet wird.
In den Versen 6 bis 11 folgt ein Abschnitt, der sich auf ein verlorengegangenes Zeugnis des Johannes bezieht – offenbar ein Teil der ursprünglich von Johannes (vermutlich dem Täufer) verfassten Offenbarung, die hier durch Joseph Smith in Teilen wiederhergestellt wird. Es ist bedeutsam, dass hier nicht nur über das Licht Christi gesprochen wird, sondern auch über seine präexistente Herrlichkeit: das „Wort“ war von Anfang an bei Gott, und durch dieses Wort wurde die Welt geschaffen. Christus war also bereits vor seiner irdischen Geburt der Schöpfer und Lichtspender aller Menschen – ein Gedanke, der an Johannes 1 erinnert, aber hier mit zusätzlicher Tiefe versehen ist. Christus als das Wort, der von Anfang an im Vater war, hat sich nicht nur herabgelassen, Fleisch anzunehmen, sondern trägt weiterhin die Gnade und Wahrheit des Himmels in sich.
Gerade der Gedanke, dass die Welt durch Christus gemacht wurde und dass er „im Anfang“ bei Gott war, unterstreicht seine ewige Göttlichkeit. Christus ist nicht nur Erlöser der Menschheit, sondern auch Ursprung und Ziel der Schöpfung. Damit wird seine Rolle als Mittler zwischen Gott und Mensch, Himmel und Erde, Vergangenheit und Zukunft hervorgehoben. Für das eigene geistige Leben ist dies mehr als eine Glaubenswahrheit – es ist ein Aufruf zur Nachfolge. Wenn Christus, der das Licht der Welt ist, in uns wirken kann, dann sind wir eingeladen, selbst Lichtträger zu werden.
Die abschließenden Verse 10 und 11 betonen diese göttliche Herkunft Christi in besonders klarer Weise: Er ist „das einzige von dem Vater gezeugte“, also derjenige, der in einzigartiger Weise göttliche Vollmacht trägt. Das bedeutet aber nicht, dass diese Fülle für immer nur ihm vorbehalten ist. Im Gegenteil: Spätere Verse machen deutlich, dass auch wir eingeladen sind, von Gnade zu Gnade zu wachsen, um eine ähnliche Fülle zu empfangen. Die Einheit zwischen Vater und Sohn dient somit als Muster für die geistige Entwicklung des Gläubigen.
Was bedeuten all diese tiefen Lehren nun für unseren Alltag? In erster Linie stellen sie einen klaren Aufruf zur aktiven Umkehr dar – eine Einladung, den eigenen Weg in einem geistlichen Licht zu betrachten und Christus erneut in den Mittelpunkt zu rücken. Wer sein Angesicht sehen will, muss bereit sein, täglich Umkehr zu üben, seine Stimme zu suchen und in allem dem Licht zu folgen, das Christus gibt. Diese Art der Nachfolge ist kein bloßes moralisches Streben, sondern ein tiefer geistlicher Prozess, der Veränderung bewirkt: Denkweisen, Gewohnheiten und Prioritäten werden neu geordnet.
In der Familie etwa können diese Verse eine Grundlage für bewusste geistige Erziehung bilden. Eltern sind aufgerufen, Licht und Wahrheit zu lehren – nicht nur durch Worte, sondern durch ein Vorbild gelebten Glaubens. Auch in der persönlichen Andacht, im Studium der heiligen Schriften und in der Art, wie wir mit anderen umgehen, können wir das Licht Christi weitertragen. In der Gemeinde wird diese Lehre zu einem Aufruf, Zeugnis zu geben – so wie Johannes der Täufer Zeugnis von Christus gab (Johannes 1), können auch wir durch unsere Taten und Worte bezeugen, dass wir ihn kennen.
Insgesamt fordern die Verse 1 bis 11 den Leser nicht nur zum Verstehen, sondern zum Handeln auf. Sie sind mehr als theologische Aussagen über Christus – sie sind eine Einladung, in seine Nachfolge zu treten, seinen Weg zu gehen und durch tägliche Umkehr, Gehorsam und geistige Wachsamkeit an seiner Fülle Anteil zu erhalten. Wer diese Verse ernst nimmt, wird erkennen, dass wahre Erkenntnis Christi nicht nur ein geistiges Ziel ist, sondern ein Weg, der jeden Tag gegangen werden kann – Schritt für Schritt, von Licht zu Licht, von Gnade zu Gnade.
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