Wer nicht sein Kreuz auf sich nehmen ... will
- manfred.lobstein
- 30. Mai
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(Bild Quelle)
“Und wer nicht sein Kreuz auf sich nehmen und mir nachfolgen und meine Gebote halten will, der wird nicht errettet werden.” (Lehre und Bündnisse 56:2).
Die Aufforderung Jesu, „sein Kreuz auf sich zu nehmen“ (Lukas 14:27), ist ein kraftvolles Bild für echte Nachfolge. Sie bedeutet, dass ein Mensch bereit ist, Christus nicht nur äußerlich zu folgen, sondern innerlich und praktisch – auch dann, wenn es schwierig, schmerzhaft oder verlustreich wird. In der damaligen Zeit war das Kreuz ein Symbol äußerster Schande und Qual. Wer sein Kreuz trug, war verurteilt zum Tod. Wenn Jesus also davon spricht, dass wir unser Kreuz auf uns nehmen sollen, meint er damit, dass wir bereit sein müssen, alles – sogar unser Leben – für ihn hinzugeben. Es ist ein radikaler Ruf zur vollständigen Hingabe.
Diese Bedeutung wird in Lehre und Bündnisse 56:2 nochmals deutlich betont: „Und wer nicht sein Kreuz auf sich nehmen und mir nachfolgen und meine Gebote halten will, der wird nicht errettet werden.“ Hier verbindet der Herr das Kreuztragen ganz direkt mit Gehorsam. Es geht nicht nur darum, Leid zu ertragen, sondern Christus aktiv nachzufolgen und seine Gebote zu halten – auch wenn es schwer ist. Wer dazu nicht bereit ist, so sagt der Herr klar, kann die Errettung nicht empfangen.
Was bedeutet es nun konkret, das Kreuz auf sich zu nehmen? Zunächst kann es bedeuten, schwierige Lebensumstände – etwa Krankheit, Einsamkeit, wirtschaftliche Sorgen oder zwischenmenschliche Konflikte – mit Geduld und Glauben zu tragen. Wer Christus nachfolgt, wird nicht automatisch von allem Leid befreit. Vielmehr wird er eingeladen, dieses Leid im Vertrauen auf den Herrn anzunehmen und mit seiner Hilfe zu überwinden. Das Kreuz kann aber auch innerlich sein: etwa der tägliche Kampf gegen Sünde, Stolz, Bequemlichkeit oder den eigenen Willen. Es ist die Bereitschaft, nicht das zu tun, was ich will, sondern was der Herr von mir will – selbst wenn es mich Überwindung kostet.
In der heutigen Zeit kann das Kreuztragen auch bedeuten, zu den Maßstäben des Evangeliums zu stehen, selbst wenn sie von der Gesellschaft abgelehnt oder verspottet werden. Wer heute nach den Geboten lebt, sich um Reinheit, Wahrhaftigkeit, Nächstenliebe und Umkehr bemüht, geht oft gegen den Strom. Doch gerade in dieser Treue zeigt sich echte Jüngerschaft. Christus lädt uns nicht zu einem bequemen Weg ein, sondern zu einem Weg, der durch Selbstverleugnung, Hingabe und manchmal sogar durch Ablehnung führt – aber auch zu tiefer Freude und ewigem Leben.
Das Kreuz auf sich zu nehmen, heißt also, sich ganz auf Christus auszurichten – im Denken, Fühlen, Wollen und Handeln. Es bedeutet, trotz aller Widerstände oder Opfer zu sagen: „Dein Wille geschehe.“ Es ist ein täglicher, bewusster Schritt in Richtung Christus, getragen von Liebe und Vertrauen. Wer diesen Weg geht, wird nicht allein gelassen. Der Herr selbst trägt mit – und gibt Kraft, Hoffnung und letztlich ewige Freude.
Historie zu Lehre und Bündnisse 56
Die Offenbarung in L&B 56 ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie der Herr auf menschliche Entscheidungsfreiheit reagiert und trotz Rückschlägen seinen Heilsplan weiterführt. Sie entstand in einer turbulenten Phase der frühen Kirchengeschichte und stellt eine Neuzuordnung von Missionsberufungen dar, nachdem mehrere ursprünglich vorgesehene Anordnungen durch menschliche Schwächen und Umstände vereitelt worden waren.
Nach der Konferenz vom 3. Juni 1831 wurden mehrere Älteste, darunter Thomas B. Marsh und Ezra Thayre, durch L&B 52 gemeinsam auf Mission nach Missouri berufen. Thomas Marsh war bereit, seiner Berufung zu folgen, doch Ezra Thayre zögerte, offenbar aufgrund persönlicher Angelegenheiten, die mit einem Grundstück zu tun hatten, auf dem er wohnte – möglicherweise wollte er finanzielle Sicherheit erlangen, bevor er auf Mission ging (D&C 56:8–9; JSP, Mai-Offenbarung 1831). Zusätzlich kam es in Thompson, Ohio, wo Thayre lebte, zu Spannungen und Konflikten, u. a. weil Leman Copley sein Versprechen zurückzog, den Heiligen von Colesville Land zur Verfügung zu stellen (D&C 54 und 56:6–7). Dies führte dazu, dass Newel Knight, der ursprünglich mit Selah Griffin nach Missouri ziehen sollte, stattdessen bei den obdachlosen Colesville-Heiligen bleiben musste, um sie weiterzuführen.
Der Herr antwortete auf diese chaotische Situation mit einer neuen Offenbarung – L&B 56 –, in der er sowohl Ermahnung als auch praktische Neuordnung vornahm:
Ezra Thayre wurde getadelt und aufgefordert, von seinem Stolz und seiner Selbstsucht umzukehren (Vers 8), da sein Zögern die Ausführung des göttlichen Auftrags behinderte.
Die Berufung von Newel Knight für die Missouri-Mission wurde widerrufen, weil er nun andere, dringendere Aufgaben hatte.
Thomas Marsh wurde stattdessen mit Selah Griffin neu zugeteilt (Vers 5), sodass die Mission trotz der Hürden weitergehen konnte.
Diese Ereignisse zeigen eine tiefere theologische Wahrheit: Der Herr achtet den freien Willen des Menschen, auch wenn dies bedeutet, dass ursprünglich erteilte Gebote geändert oder neu verteilt werden müssen. Anstatt Berufungen nur jenen zu geben, von denen er „weiß“, dass sie sie erfüllen werden, gibt er Menschen die Gelegenheit, sich zu bewähren oder zu scheitern – ganz im Sinne von LuB 121:34–35: „Viele sind berufen, aber wenige sind auserwählt, weil sie ihr Herz zu sehr auf die Dinge dieser Welt setzen.“
Während manche Leser von dieser Flexibilität überrascht oder sogar irritiert sein mögen, offenbart sie doch ein wunderbares Bild göttlicher Geduld und Gerechtigkeit: Der Herr handelt konsequent, aber anpassungsfähig, er verurteilt Sünde, aber schafft neue Wege, wenn Menschen scheitern oder sich widersetzen. Sein Werk geht weiter – mit den willigen Dienern.
Fazit: L&B 56 dokumentiert nicht nur eine logistische Neuverteilung von Missionsaufträgen, sondern auch eine tiefe Lehre über Verantwortung, Entscheidungsfreiheit und die Gnade Gottes, der immer noch mit denjenigen weiterarbeitet, die bereit sind, ihm zu folgen.
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