Wir sahen den Herrn auf der Brüstung der Kanzel
- manfred.lobstein
- 3. Okt.
- 4 Min. Lesezeit

Christi Erscheinen im Kirtland Tempel
(Bild: Quelle)
“Wir sahen den Herrn auf der Brüstung der Kanzel vor uns stehen, und unter seinen Füßen war eine Pflasterarbeit aus reinem Gold, in der Farbe wie Bernstein.” (Lehre und Bündnisse 110:2).
Einleitung Der 3. April 1836 im Kirtland-Tempel gilt als einer der heiligsten Tage der Wiederherstellung. Nur wenige Tage nach der feierlichen Tempelweihung empfingen Joseph Smith und Oliver Cowdery eine Folge von Visionen, die den weiteren Kurs der Kirche prägen sollten. In den Versen 1–10 tritt der Herr, Jesus Christus, selbst auf und nimmt das Haus an, das ihm geweiht wurde. Damit wird der Kirtland-Tempel zum sichtbaren Zeichen, dass Gott sein Volk annimmt und sich mitten unter sie stellt.
Historischer Hintergrund Der Bau des Kirtland-Tempels war für die noch junge Kirche eine enorme Herausforderung. Die Mitglieder waren arm, viele hatten alles geopfert, um das Bauwerk zu errichten. Die Weihefeier im März 1836 war von machtvollen geistigen Manifestationen begleitet: Gesänge von himmlischen Chören, das Erscheinen von Engeln und eine Fülle des Geistes. In dieser Atmosphäre der Hingabe und des Glaubens erschien wenige Tage später der Herr selbst.
Die Erscheinung Christi (Verse 1–4) Die Vision beginnt mit einer majestätischen Beschreibung: „Wir sahen den Herrn über der Brüstung des Altars stehen … und seine Augen waren wie eine Feuerflamme, das Haar seines Hauptes war weiß wie reiner Schnee, sein Antlitz leuchtete über aller Helligkeit der Sonne.“ Diese Bildsprache greift bekannte Schilderungen aus der Schrift auf. Johannes beschreibt den verherrlichten Christus in Offenbarung 1,14–16 ähnlich: Augen wie Feuerflammen, Gesicht wie die Sonne, Stimme wie mächtige Wasser. Auch im Buch Mormon berichtet die Erscheinung des auferstandenen Christus in 3. Nephi 19:5-30 von einer Weiße, die alles irdische übertrifft.
Diese Parallelen zeigen: Joseph und Oliver begegneten nicht einer inneren Eingebung, sondern dem gleichen verherrlichten Herrn, der sich schon früher Propheten offenbart hatte. Christus tritt hier nicht als leidender Messias, sondern als König der Herrlichkeit auf – derjenige, dem der Tempel geweiht war.
Worte des Herrn (Verse 5–10) Die Botschaft, die Christus spricht, ist schlicht und doch voller Macht. Zuerst bezeugt er: „Ich bin der Erste und der Letzte; ich bin der Lebendige, ich bin der, der erschlagen wurde; ich bin euer Fürsprecher beim Vater.“ Hier verbinden sich Titel aus der Offenbarung („Erster und Letzter“) mit der Erinnerung an Golgatha („der erschlagen wurde“) und der gegenwärtigen Rolle Christi als Mittler. So spannt er den Bogen von der Ewigkeit über die Vergangenheit bis zur unmittelbaren Gegenwart.
Dann erklärt der Herr, dass er „die Gebete seiner Diener angenommen“ habe und „das Haus angenommen“ sei. Diese Zusicherung ist der Höhepunkt des Tempelbaus: Der Herr selbst bestätigt, dass seine Herrlichkeit den Tempel erfüllt. Wie einst die Wolke die Stiftshütte erfüllte (Exodus 40:34) und der Tempel Salomos von Herrlichkeit überstrahlt wurde (1. Könige 8,10–11), so nimmt Christus nun das erste Heiligtum der Wiederherstellung an.
Besonders eindrücklich sind die Verheißungen in Vers 7–10: „Mein Name soll hier sein … mein Herz soll stets zu diesem Volk geneigt sein.“ Der Herr erklärt, dass seine Augen und sein Herz immer auf seinem Haus und seinem Volk ruhen. Er verheißt „große Segnungen“, die von Generation zu Generation fortwirken, und dass die Kirche „aus der Dunkelheit in das wunderbare Licht Gottes erhoben“ werde.
Alttestamentliche Grundlagen Die Sprache der Annahme erinnert stark an die Bundesgeschichte Israels. Immer wieder bekräftigt Gott: „Ich will mitten unter euch wohnen.“ Der Tempel ist das sichtbare Zeichen dieses Bundes. So wie das Opfer im alten Israel nicht ohne Gottes Annahme wirksam war, so wäre auch der Tempelbau in Kirtland ohne das Zeugnis Christi unvollständig geblieben.
Auch die Verbindung zu Jesaja ist erkennbar: „Das Volk, das in Finsternis wandelt, hat ein großes Licht gesehen“ (Jesaja 9:1). Christus selbst erklärt in L&B 110, dass die Kirche nun aus Dunkelheit ins Licht gehoben wird – ein direktes Echo dieser Verheißung.
Bedeutung für die Wiederherstellung Die Annahme des Tempels in Kirtland markiert einen Wendepunkt. Die Gläubigen wussten nun, dass ihr Opfer nicht vergeblich war. Der Herr selbst hatte bestätigt, dass er ihr Werk anerkennt. Zudem schuf diese Vision den Raum für die folgenden himmlischen Beauftragungen (Moses, Elias, Elija), die nur in einem von Gott angenommenen Tempel stattfinden konnten. Ohne die Bestätigung Christi wären die späteren Schlüsselmachten in ihrer Autorität nicht glaubhaft gewesen.
Bedeutung für heute Auch wenn der Kirtland-Tempel heute kein geweihtes Gotteshaus mehr ist, bleibt seine Weihe und Annahme ein Symbol für jeden Tempel weltweit. Wenn wir heute einen Tempel betreten, dürfen wir uns daran erinnern: Der Herr hat seine Häuser angenommen, und sein Name ruht auf ihnen. Seine Verheißung gilt uns ebenso: Seine Augen und sein Herz sind auf sein Volk gerichtet.
Für das persönliche Leben bedeutet dies, dass Christus unsere Opfer sieht. Viele Mitglieder bringen Opfer dar – Zeit für den Tempel, finanzielle Beiträge, Dienst in der Gemeinde, das Ringen im Gebet. Die Vision von Kirtland erinnert uns daran, dass der Herr diese Opfer annimmt und sie in seinem Gedächtnis sind.
Geistliche Reflexion für den Alltag Die Erscheinung Christi im Kirtland-Tempel lädt uns ein, nach dem Prinzip der Annahme zu leben. Wir alle wünschen uns, dass Gott unser Leben, unsere Arbeit, unsere Gebete „annimmt“. Die Vision zeigt: Annahme geschieht nicht durch äußeren Erfolg, sondern durch Hingabe des Herzens. Die Heiligen in Kirtland waren nicht reich, nicht angesehen, oft verachtet. Doch sie gaben alles, was sie hatten.
Wenn wir im Alltag kleine Opfer bringen – Geduld in der Familie, Dienst an einem Mitmenschen, das stille Gebet vor dem Schlafengehen –, dürfen wir wissen: Christus sieht es. Seine Augen sind auf uns gerichtet, sein Herz ist uns zugewandt. Er ist der „Fürsprecher beim Vater“, der selbst unsere unvollkommenen Gaben heiligt.
So wird L&B 110:1–10 zu einer Einladung: unseren eigenen Alltag als „Tempel“ zu sehen, wo der Herr uns begegnen und unsere Hingabe annehmen kann. Dann wird sich die Verheißung erfüllen, dass wir „aus der Dunkelheit in das wunderbare Licht“ gehoben werden – Tag für Tag, Schritt für Schritt.
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